Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
meine liebe Mutter …«
»Ihre liebe Mutter …«
»… meine liebe Mutter, gütiger Herr, und meine liebe Frau zu ernähren, denn ich habe mich vor Kurzem verlobt. So frisch verlobt, weiß ich mir nun nicht anders zu helfen, gütiger Herr, und komme mit der untertänigsten Bitte um Rat und die Großzügigkeit Ihrer guten Dienste zu Ihnen, mit den besten Empfehlungen des jüngst verstorbenen Dr. T. Lumbodharan, seines Zeichens Direktor der höheren Mittelschule von Rombachinnapattinam, der mir viele Male gesagt hat, dass die Beschaffenheit und die Fähigkeit meines Geistes nicht denen eines durchschnittlichen oder gewöhnlichen Menschen entspreche.«
»Die Beschaffenheit und Fähigkeit Ihres … mein Lieber, so sprechen Sie doch langsam!«
»Mein Herr. Mein Name ist Rombachinnapattinam R., Sohn von Rombachinnapattinam N. und Enkelsohn von Rombachinnapattinam V.«
»Gütiger Gott.«
»Gütiger Herr!«
»Ha!«
Ich zwang mich gleich darauf zu husten, um das Lachen zu kaschieren, das mir herausgerutscht war. Ein verschwitzter, übernervöser Dorfjunge wie R., der zu mir ins Büro kommt und bettelt, hätte sich normalerweise einer kurzen Anhörung und einer darauf folgenden knappen Abweisung sicher sein können. Doch irgendetwas an diesem glücklosen jungen Freund ließ mich zögern, ihm allzu schnell die Tür zu weisen. Ich empfand eine unerklärliche Wärme für ihn. Seine erbarmungswürdige Schüchternheit, seine rührende Aufregung angesichts der Begegnung mit einem Mann, der in Rang und Fähigkeiten so weit über ihm stand – eine Nervosität, die zu einem seltsamem Überschwang führte –, sein schlichter Mut, so an mich heranzutreten, und die Tatsache, dass er ein bedürftiger Brahmane war und mit der Empfehlung meines letzten Direktors kam – all das brachte mich dazu, diesem seltsamen Burschen milde zu begegnen. Er stand vor mir, die Hände demütig vor seinem stattlichen Bauch gefaltet, und sah mit großen, flehenden Augen zu mir hoch. Ein Schweißtropfen rollte über seine Stirnfurchen hinweg, schlängelte sich mit nasser Spur an seiner stattlichen Nase hinab und blieb für einen Moment daran hängen.
Noch bevor er zu Boden tropfte, hatte ich eine impulsive Entscheidung getroffen. »Wie ist Ihre Handschrift, junger Mann?«, fragte ich ihn.
»Recht leserlich, mein Herr«, erwiderte er.
Sogleich stellte ich ihn als meinen Sekretär ein. Nachdem ich ihm die Einzelheiten der Stelle geschildert hatte, bat ich ihn, am nächsten Morgen anständig gekleidet bei mir vorstellig zu werden, in Hemd und Sandalen.
Was brachte mich zu einer solchen Entscheidung? Nun, es war einer jener Momente, in denen die elektrische Spannung der augenblicklichen Stimmung eine zufällige Ansammlung objektiver Fakten in ihrem Schaltkreis ausrichtet und sie im Kopf eines Menschen zu einer Vorstellung oder Eingebung anordnet, die zwar weniger ein wohlerwogenes Urteil als vielmehr eine Laune ist, aber dennoch den Eindruck eines endgültigen Entschlusses vermittelt.
Kurz und gut, ich weiß nicht, warum ich diese Entscheidung traf. Aber ich hatte keinen Zweifel an meiner Wahl, und ich rief Dhananjayan Rajesupriyan, damit er uns, zur Feier des Tages sozusagen, Tee bringen möge. Dhananjayan hatte draußen den Bahnsteig gefegt, und als er mit einem Tablett mit zwei dampfenden Bechern hereinkam und einen kurzen Blick auf den wohlbeleibten jungen R. warf, der mir gegenübersaß, verschüttete er prompt den heißen Tee über meinem Schreibtisch, wo er meinen irrelevanten, halb fertigen Brief durchweichte und R. warm in den Schoß tröpfelte.
Da solche Unbeholfenheit Dhananjayan nicht ähnlich sah, schlug ich ihn nicht, sondern verdrehte ihm nur das Ohrläppchen, bis er aufschrie. Dann entschuldigte ich mich wortreich bei R., und der gute Dhananjayan zog sich gefällig zurück.
Dhananjayan Rajesupriyan war ein Bursche von neunzehn Jahren, ein Vaishya aus einer armen und rückständigen Klempnerfamilie. Er arbeitete seit der Bahnhofseröffnung im Jahr 1908 bei mir, jenem Ereignis vor etwa zwölf Monaten, dem bei Weitem aufregendsten in der Geschichte unseres kleinen Dörfchens Rombachinnapattinam im Süden Indiens. Zugegeben, der Bahnhof machte nicht viel her – eine Lehmhütte mit einem großen Raum als Büro und einem Bahnsteig mit Palmwedeldach –, aber er trug das Wappen der Great Indian Peninsula Railway. Und ich war sein Vorsteher. Ja, ich war Bahnhofsvorsteher – im zarten Alter von vierundzwanzig. Wissen Sie, wir Iyer aus
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