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Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)

Titel: Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rajesh Parameswaran
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das Gesicht zu Brei schlagen. Genau an jenem Tag war ihr Bruder auf dem Heimweg von der Schule von einer Fahrrad-Rikscha erfasst worden, hatte dabei für ein paar Sekunden das Bewusstsein verloren und sich eine kleine Schnittwunde an der Stirn zugezogen. Savitris Mutter war außer sich gewesen vor Zorn. Sie hatte der tränenüberströmten Savitri das Ohr langgezogen und sie einhundertundeinmal vor dem Familienaltar niederknien lassen. »Dumme Gans«, hatte ihre Mutter sie gescholten. »Siehst du denn nicht, dass die asura ganas zu deinem Wunsch asthu gesagt haben?«
    Die asura ganas , wurde Savitri damals gesagt, waren kleine Dämonen überall um uns herum in der Luft. Die Halbcousins der Götter murmelten dann und wann asthu, asthu , ein sehr mächtiges Wort in ihrer Dämonensprache. Egal, was man in einem bestimmten Augenblick dachte oder sagte – wenn die Dämonen zufällig gerade dieses Wort sprachen, trat es ein.
    Das war Savitri eine Lehre, auch wenn sie niemals zugegeben hätte, dass sie daran glaubte. Wann immer ihr ein böser Gedanke kam, korrigierte sie sich. Sie hatte oft Gelegenheit gehabt, ihre eigene Tochter an die möglichen Folgen zu erinnern, wenn diese schlecht über jemanden redete, Klatsch verbreitete oder vage Vermutungen anstellte, einen unglücklichen Euphemismus benutzte oder ihren Eltern im Zorn etwas Böses wünschte.
    An all das hatte Savitri jahrelang nicht mehr gedacht, doch als sie jetzt vor der verrenkten Gestalt ihres Mannes stand, wurde ihr klar, dass ihre böse Natur sie wieder eingeholt hatte. Für einen kurzen, schrecklichen Moment war es sonnenklar: Ihr Mann war tot, und sie hatte ihn umgebracht. Die Angst und der Druck wurden schier unerträglich, und plötzlich stand sie in der Küche und kochte.
    Jetzt, Stunden später, während sich die Umrisse der Ereignisse immer deutlicher in ihre Gedanken einbrannten, kehrte jenes Gefühl von überwältigender Angst und Schuld zurück. Ach, wenn Radha doch nur hier wäre, dachte Savitri durch ihre Tränen hindurch. Gemeinsam könnten wir überlegen, was jetzt zu tun ist. Radha hat zwar keinen Verstand, aber wenn sie eines hat, dann ist es Mut.
    Savitri wischte sich mit den Handrücken über die Augen und atmete geräuschvoll ein, um ihre Nase zu befreien. Dann ging sie zum Telefon im Wohnzimmer und wählte die Nummer ihrer Tochter im Wohnheim.
    »Hallo«, sagte ein Mädchen.
    »Radha, hier ist Mummy«, sagte Savitri. »Radha du musst sofort …«
    »Mrs Vee …«, antwortete das Mädchen, »Mrs Veeraghavan, hier ist Lisa.«
    »Ach so.« Savitri zögerte. Ganz ruhig, dachte sie, ganz ruhig. Radhas Mitbewohnerin darf nicht erfahren, was hier passiert ist, was ich getan habe.
    »Lisa?«, fragte Savitri, die ihre Stimme kaum im Griff hatte. »Wie geht es dir?«
    »Gut«, sagte Lisa knapp.
    »Fährst du übers Wochenende nach Hause?« Savitri bemühte sich so krampfhaft um Fröhlichkeit, dass sie in den Hörer lächelte.
    »Hm«, antwortete Lisa.
    »Ich möchte dich irgendwann einmal kennenlernen, Lisa«, sagte Savitri. »Ich weiß nicht, warum Radha ihre Freundinnen nie mit nach Hause bringt. Ich könnte dir ein paar von unseren indischen Spezialitäten kochen.«
    Lisa schwieg.
    »Lisa, kann ich bitte mit Radha sprechen?«
    »Radha ist in der Bibliothek«, erwiderte Lisa.
    »In der Bibliothek? Aber morgen ist doch Feiertag.«
    »Was soll ich sagen, da ist sie nun mal«, sagte Lisa.
    Savitri hielt inne. »Ich will wissen, wo sie steckt«, sagte sie, jetzt sehr ernst. »Wenn sie da ist, gib sie mir. Wenn sie übers Wochenende zu irgendjemandem nach Hause gefahren ist, dann gib mir bitte die Nummer von dort.«
    »Bei allem Respekt«, setzte Lisa etwas unglücklich an, »Sie rufen hier ungefähr fünfmal am Tag an. Das ist doch nicht normal. Sie haben kein Recht, sie zu überwachen.«
    »Lisa«, sagte Savitri und rang um Fassung. »Ich bin ihre Mutter, oder etwa nicht? Und das hier ist eine besondere Situation. Sag mir, wo sie hingegangen ist.«
    »Tut mir leid, ich weiß es nicht.«
    »Ist sie bei irgendeinem Jungen?«, fragte Savitri, und ihre Stimme brach immer mehr. »Ist sie schon weggefahren? Sag mir die Nummer von dort. Gib mir einfach die Nummer, Lisa.«
    »Ich weiß sie nicht.«
    »Verdammt noch mal!«, schrie Savitri. »Lisa, das ist ein Notfall. Ein Riesenproblem, verstehst du? Es geht um ihren Daddy. Sagst du ihr bitte, sie soll mich anrufen? Richte ihr einfach aus, sie soll mich anrufen.« Savitri kämpfte gegen die Tränen.
    Lisa

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