Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
könnte es für einen besseren Beweis für seine Eitelkeit geben? Aber lassen wir uns davon nicht stören. Ich bin schon auf Seite fünfundneunzig. Die Dreiecksbeziehung löst sich gerade auf.«
»Tut mir leid, Bibhuti. Ich habe den Kopf gerade nicht frei für dein Drehbuch. Ich mache mir Sorgen.«
»Aber das brauchst du doch nicht, Nirmala. Entweder er weiß es oder er weiß es nicht, wen kümmert das schon? Atme durch und freu dich. Mein Film ist ein neuer Anfang für uns.«
Während ich in der hellen Sonne und im kühlen Wind von New York über die Fifth Avenue schlendere, spüre ich es noch immer: ein neuer Film, ein neuer Anfang. Ich erinnere mich an ein ganz ähnliches Gefühl, damals 1974, bei Calcutta Nights .
Wir werden Filme über unsere Heimaterde Bengalen und die Menschen dort machen , hatte Jogesh damals gesagt. Wir schreiben Geschichten über unser Land, und wir enthüllen das Universelle im Besonderen . Nachdem er berühmt geworden war, antwortete er in allen Interviews mit ausländischen Zeitungen auf die unvermeidliche Frage, warum er seinen Ruhm nicht nutze, um Filme für einen lukrativeren Markt im Ausland zu drehen: »Ich halte es da mit Satyajit Ray. Warum sollte ich Filme über eine Kultur drehen, die ich nicht kenne? Was könnte ich darüber zu sagen haben? Und ganz praktisch gedacht: Wie soll ich den Schauspielern Anweisungen in einer Sprache geben, die nicht meine Muttersprache ist?«
Und so fanden wir uns für unseren ersten Film in einem kleinen Dorf auf dem Land wieder, umringt von einem Dutzend Bauern und Kindern, die uns unbedingt helfen wollten. Anant war wegen seines Geschicks im Umgang mit einer Leica engagiert worden, aber was wusste er schon über die 35-mm-Filmkamera, die wir erst drei Tage zuvor bei einem professionellen Filmstudio hatten erbetteln können? Nicht das Geringste, und so kam es, dass das gesamte Material der ersten fünf Tage unterbelichtet und vollkommen unbrauchbar war.
Mit solchen Problemen schlugen wir uns herum. Jogeshs Schwiegervater erwies sich als vorsichtiger Mensch, und so genügten unsere Mittel zwar, um einen Film zu drehen, aber längst nicht, um eine erfahrene Crew zu engagieren. Unser Tontechniker George, ein Umsiedler aus Kerala, hielt sich für einen Musiker und schrieb melodramatische Disko-Liebesballaden im Stil der damaligen Filmi-Musiker. Wir engagierten ihn als Tontechniker, weil er uns ein paar erstklassige Mikrofone und Mischpulte organisieren konnte. (Genau wie meine Frau schimpfte auch er mit Jogesh, weil der Film nur ein einziges vollständiges Lied enthielt.) George nahm den Job nur an, weil er ihn für ein Sprungbrett für eine Karriere als Play-back-Sänger hielt, und wir ließen ihn in diesem Glauben.
Verglichen damit fielen meine eigenen Unzulänglichkeiten kaum ins Gewicht: Ich kam oft zu spät und war noch verkatert vom Abend zuvor. Aber ich war clever und geschickt, und Jogesh und ich verstanden uns ohne viele Worte. Ich wusste instinktiv, was er mochte und was nicht, und er vertraute auf mein Urteil. Ich war sein erster Ansprechpartner, derjenige, der da gewesen war, seit er seinen Traum vom Filmemachen zum allerersten Mal in Worte gefasst hatte, der, der seine Vision verstand.
Einmal brauchten wir eine Aufnahme von einem Teich, der auf dem Grundstück eines Bauern lag. Des einzigen knauserigen Bauern im ganzen Dorf, und solange wir ihm nichts zahlten, ließ er uns keinen Fuß daraufsetzen.
»Pass auf, Jogesh, ich klopfe bei ihm an und täusche einen epileptischen Anfall vor, ja?«, sagte ich. »Das lockt bestimmt das ganze Haus an die Tür. Du und Anant, ihr kommt dann schnell mit der Handkamera, und schon haben wir die Aufnahme im Kasten.«
Als er begriff, dass ich das ernst meinte, lachte er und klopfte mir auf die Schulter. »So machen wir es, mein Freund!« Ohne Scham warf ich mich zuckend und laut würgend auf den Boden, sabberte mir die Wangen voll und verdrehte die Augen, ganze zwölf bis fünfzehn Minuten lang! Welcher Schauspieler hätte das besser hinlegen können? So bekamen wir unsere Aufnahme.
Jeden Abend plante ich zusammen mit Jogesh im Dorf-Dhaba den Dreh für den nächsten Tag. Er trank stets einen Becher Hausbier, dann ging er mit den Worten: »Viel Vergnügen noch, mein Freund, aber denk dran, ich brauche dich pünktlich morgen früh um sechs. Ohne deinen Blick kann ich diesen Film nicht drehen.«
Mein Blick war es letzten Endes, mein meisterhafter und instinktiver Blick für visuelle Feinheiten (Wie
Weitere Kostenlose Bücher