Ich bin Henker: Liebesgeschichten (German Edition)
sich von Natur aus an das Budget) und staffiere mich mit einem schmucken Designeranzug und einer wunderschönen Seidenkrawatte aus. »Letzte Woche war der Stylist von Denzel hier«, raunt mir der schamlos schmeichelnde Verkäufer zu, »und er hat für ihn dasselbe Outfit gekauft!« Ich mustere mich im Spiegel und gebe mich für einen Moment der Illusion hin, dass Denzel darin nicht besser aussehen könnte als ich.
6
Innenraum, ein Maleratelier, Tageslicht. Ein stattlicher alter Mann mit silbergrauem Haar und weißem Stoppelbart steht in seinem riesigen Atelier vor einer großen Staffelei. In seinen langen, knochigen Fingern hält er den Pinsel, und er tupft und peitscht mit Rot, Gelb und Blau auf die Leinwand ein. Er trägt einen farbbeklecksten weißen Kurta-Pyjama und ist barfuß. Hinter ihm betritt eine alte Dame in einem weißen Sari – seine Frau – leise das Atelier, stellt einen Becher Tee und einen Teller Kekse ab und geht wieder. Der Maler bemerkt sie gar nicht.
(Was weiß Jogesh schon von Malerei? Er ist ja schon mit einer geraden Linie überfordert. Das ist wohl auch der Grund, weshalb der Maler in seinem Drehbuch ein abstrakter Künstler ist.)
Jetzt besucht der Maler die renommierte Kunstakademie im Ort, spricht mit Schülern und kritisiert ihre Arbeiten. Mit der Selbstsicherheit, die Ruhm und ein großes Talent bringen, zeigt er im Bild jedes Schülers die Schwachstellen auf, tut die Fragen der jungen Leute unwirsch ab und erntet ehrfürchtiges Schweigen, in einem Fall fließen sogar Tränen.
(Was Jogesh doch für selbstgefällige Fantasien hat! Aber die Szene ist gut geschrieben, das muss man ihm lassen. Die Dialoge sind knackig und lebhaft, sie knistern förmlich vor Spannung.)
Eine Studentin widerspricht ihm. Schnell wischt er ihren Einwand weg. Aber sie bringt ihr Argument noch einmal vor und führt Beispiele aus den Arbeiten des Malers an. Geschmeichelt, beeindruckt, neugierig geworden und sogar etwas gedemütigt, dreht er sich um und bemerkt schließlich, dass die Studentin – unter ihrer Brille, dem Kittel und dem zurückgebundenen Haar – eine sehr attraktive junge Frau ist.
(Männerfantasie vom Feinsten. Das Verblüffende ist ja, dass Jogesh in seinem Drehbuch ungewollt so viel zugibt.)
Er lädt sie ein, das Gespräch in seinem Atelier fortzusetzen. Dann stellte er sie als seine Assistentin ein, und wie sollte es anders sein, sie beginnen eine Affäre.
(Wie peinlich! Welch eine Kühnheit! Eine Zwanzigjährige mit einem Siebzigjährigen. Der eitle Jogesh – denkt, die ganze Welt sei veranlagt wie er, alle Männer lechzten nach jungem Fleisch. Aber irgendwie gelingt es ihm, das Unwahrscheinliche glaubhaft zu machen; er zeigt die Verletzlichkeiten und das Mitleiderregende sowohl des alten Mannes als auch seiner Geliebten. Schon beim Zeichnen und Umblättern verkrampft sich mir in unguter Vorahnung der Magen.)
Nicht direkt mit Gewissensbissen, aber in der ständigen Sorge, seine geduldige und liebende Ehefrau könnte etwas erfahren und am Boden zerstört sein – und auch in der Angst, dass seine junge, dynamische und unabhängige Geliebte sich mit ihm langweilen und ihn verlassen könnte –, malt der Maler mit neuer Vitalität einfach weiter.
Das erinnert mich an das eine Mal, als ich nach einem Besuch bei Nirmala meine Lesebrille nicht mehr fand. Das war sehr ungewöhnlich, denn ich legte sie normalerweise immer vorsichtig in meine Aktentasche, und die wiederum lehnte ich stets an denselben Stuhl im Flur. Was musste ich mir da von meiner Frau anhören! Sie fuhr sofort zum Brillengeschäft und kaufte mir eine neue. Zwei Tage später rief mich Nirmala an.
»Jogesh hat deine Brille gefunden.«
»Wo war sie denn?«
»Im Schlafzimmer. Sie schaute ein Stück unter dem Bett hervor.«
Wie konnte die Brille bloß dorthin gekommen sein? Hastig ging ich in Gedanken noch einmal alles durch, was ich getan hatte: eine angenehme Erinnerung. Selbst unser jugendliches Ungestüm konnte das Abhandenkommen der Lesebrille schwer erklären. Ich dachte daran, dass Jogesh mich viele Male damit gesehen und sie ziemlich sicher wiedererkannt hatte.
»Sag mal, Bibhuti, hat er sich am Set dir gegenüber irgendwie anders verhalten? Meinst du, er ahnt etwas?«
»Nein, nicht im Geringsten. Er war vollkommen normal, ganz ruhig«, sagte ich, und mich durchfuhr ein Schauder.
»Genau wie hier zu Hause. Er ist die Ruhe selbst. Ich verstehe das nicht.«
»Wie sehr er doch mit sich selbst beschäftigt ist! Was
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