Ich. bin. Jetzt - auf dem achtfachen Yoga-Pfad zu sich selbst finden
nehmen die Sinnesorgane Reize auf, die erst im Gehirn sortiert und interpretiert werden. So nehmen Sie wahr – was noch lange nicht heißt, dass wahr ist, was Sie wahrnehmen.
Schauen Sie sich einmal um, schwenken Sie Ihren Blick von links nach rechts. Für Sie entsteht der Eindruck, einen Film von Ihrer Umgebung zu sehen. Ähnlich wie bei einer Filmkamera, nur dass der Film nicht auf eine Leinwand, sondern in Ihr Bewusstsein projiziert wird. In Wahrheit trifft Licht (!) auf Ihre Netzhaut. Dort wird es in elektrische Signale umgewandelt, die via Sehnerv ins Gehirn weitergeleitet werden. Das Gehirn interpretiert die Signale anhand der Daten, die Sie schon gesammelt haben, und erschafft ein Bild. Sie sehen also keinen erstklassigen Farbfilm der Wirklichkeit. Niemand tut das! Etwa 14.000 Mal am Tag sind wir sogar für eine knappe halbe Sekunde blind – wir blinzeln. Aber unser Gehirn gleicht diese Schwäche aus. Geschickt kombiniert es die wenigen vorhandenen Informationen und ergänzt sie mit unseren Erfahrungen. Uns bleibt die Illusion, eine vollständige Welt zu sehen.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten sich an alles erinnern, was je geschehen ist, und alles wahrnehmen, was irgendwo in der Welt geschieht. Theoretisch wäre jeder Mensch in der Lage dazu. Praktisch wäre diese Menge an Informationen für niemanden zu bewältigen. Unser Gehirn und unser Nervensystem sorgen dafür, dass nur Informationen, die relevant erscheinen, in unser Bewusstsein gelangen. Das suchen wir uns in der Regel aber nicht bewusst aus. Was und wie wir etwas wahrnehmen, hängt vielmehr stark von unserem sozialen Umfeld ab. Wir sind geprägt durch die Gesellschaft, in der wir aufwachsen, durch die Kultur, die Umgangsformen, die Sprache, die Traditionen, Normen und Regeln. Unsere ganz persönliche Geschichte spielt natürlich ebenfalls eine große Rolle dabei, wie wir die Welt sehen: die eigenen Erfahrungen, Werte, Kriterien, Glaubenssysteme, Erinnerungen, Erwartungen und Überzeugungen.
Wir nehmen nur wahr, was wir für wahr halten. Wir sehen, was wir zu sehen, und hören, was wir zu hören gelernt haben. Meistens verlassen wir uns auf unsere Sinne und glauben, die Welt sei so, wie wir sie wahrnehmen, dabei erleben wir nur jene Welt, die unser Gehirn permanent für uns konstruiert. Um die Wirklichkeit zu erkennen und uns selbst als schöpferisches Wesen zu erfahren, müssen wir unsere Sinne zur Ruhe bringen und nach innen gehen. Kurz: Pratyahara praktizieren.
Es gibt ein Auge der Seele. Mit ihm allein kann man die Wahrheit sehen.
Platon
Die Sinne entlasten
Bei uns im Westen ist Pratyahara eine Stufe auf dem Yoga-Pfad, die oft vergessen oder vernachlässigt wird, und dabei ist sie für viele von uns wohl die wichtigste. Bei den unzähligen Eindrücken und Einflüssen, die permanent auf uns einprasseln, können wir unsere innere Stimme unmöglich wahrnehmen. Die innere Weisheit ist immer da und bereit, uns zu führen, doch unterbricht sie weder unser Ego noch übertönt sie die Stimmen der Welt. Sie erfordert vielmehr unsere Bereitschaft, hinzuhören und die Antworten nicht länger im Außen zu suchen. Um unsere innere Verbindung zum Höheren Selbst wieder zu entdecken und zu stärken, müssen wir einerseits lernen, die Sinneseindrücke zu reduzieren und bewusster auszuwählen, und uns andererseits Zeiten der Stille und des Rückzugs gönnen.
Pratyahara umfasst drei Formen von Ahara: physische, geistige und seelische Nahrung. Was wir essen, die Eindrücke, denen wir uns aussetzen, und die Menschen, mit denen wir uns umgeben, prägen uns nachhaltig und machen uns zu dem, was wir sind. Beim Thema Saucha haben wir schon besprochen, wie wichtig es ist, bewusst zu entscheiden, was wir von außen aufnehmen und somit zu einem Teil von uns werden lassen. Ohne gesunde, sattvige Nahrung können wir weder die Sinne noch den Geist in den Griff bekommen. Aber auch unsere Beziehungen spielen eine entscheidende Rolle.
Wir neigen dazu, den Menschen ähnlich zu werden, mit denen wir viel Zeit verbringen. Die Art zu sprechen, die Verhaltensweisen und selbst Denkmuster gleichen sich an. Vielleicht haben Sie schon erlebt, dass Sie selbst in Dialekt fallen, wenn Sie mit jemandem sprechen, der einen Dialekt spricht. Oder dass Sie plötzlich die gleichen Wörter verwenden wie jemand, den Sie oft sehen. Genauso werden wir durch die Wünsche und Gedanken anderer Menschen beeinflusst. Plötzlich machen Sie sich Sorgen um Ihr Geld, weil Ihnen Ihr Kollege ständig
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