Ich bin kein Serienkiller
Straßenseite in den Friendly Burger und setzte mich ans Fenster, um ihn zu beobachten.
Der Statur nach konnte er durchaus der Killer sein. Nicht riesig, aber groß und kräftig genug, um einen Mann wie Jeb Jolley niederzuschlagen. Er hatte lange braune Haare, die bis etwa zum Kinn zottelig herabhingen. Das war im Winter im Clayton County gar kein so ungewöhnlicher Anblick. Es konnte hier schneidend kalt werden, und unter den langen Haaren blieben die Ohren warm. Mit einem Hut wäre er besser dran gewesen, aber als Streuner darf man nicht wählerisch sein.
Er atmete in kurzen, dunstigen Stößen – nicht mit den langen, gemächlichen Atemzügen der anderen Passanten. Das bedeutete, dass er schnell atmete, und dies wiederum ließ darauf schließen, dass er erregt war. Suchte er sich gerade ein Opfer aus?
Der Bus kam und fuhr wieder ab, ohne dass der Mann eingestiegen wäre. Er beobachtete etwas auf der anderen Straßenseite, also auf der Seite, auf der ich mich gerade befand. Links neben der Burgerbraterei lag der Buchladen Twain Station , rechts Earl Huntings Jagdbedarf. Der Streuner beobachtete das Geschäft für Jagdbedarf, was für sich genommen schon etwas unheimlich war. Davor parkten ein paar Autos, von denen mir eines bekannt vorkam. Wer aus meinem Bekanntenkreis fuhr einen weißen Buick?
Als Mr Crowley mit Angelzubehör beladen aus dem Geschäft kam, wurde mir klar, woher ich das Auto kannte. Es stand die meiste Zeit gerade mal zwanzig Meter von unserem Haus entfernt. Wenn man sich zwingen muss, nicht über Menschen nachzudenken, entgehen einem sogar die einfachsten Tatsachen.
Der Streuner stand auf und überquerte im Laufschritt die Straße, um sich Mr Crowley zu nähern. Jetzt wurde es auf einmal ernst. Ich wollte hören, was sie einander zu sagen hatten. Also ging ich raus, kniete mich vor mein Fahrrad und tat so, als wolle ich die Sicherheitskette lösen. Ich hatte sie nicht einmal irgendwo festgemacht, aber da das Fahrrad vor einigen Rohren stand, hoffte ich darauf, dass weder Crowley noch der Streuner etwas bemerkten. Ich befand mich gut zehn Meter von ihnen entfernt. Wenn ich Glück hatte, achteten sie überhaupt nicht auf mich.
»Angeln?«, fragte der Streuner. Er war etwa fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt und von Wind und Wetter gezeichnet. »Dafür ist es doch ein bisschen zu kalt.«
Mr Crowley schaute lächelnd auf. »Eisangeln«, sagte er und hob einen Meißel. »Der See ist schon vor ein oder zwei Wochen zugefroren. Inzwischen müsste man gut auf dem Eis laufen können.«
»Was Sie nicht sagen«, erwiderte der Streuner. »Früher war ich oft eisangeln. Die gute alte Zeit.«
»Dann sind Sie auch Angler?« Mr Crowley wurde lebhaft. »Es gibt hier nicht viele Leute, die das Eisangeln mögen. Earl musste den neuen Bohrer eigens für mich bestellen. So kalt, wie es heute ist, und bei diesem Wind dürften nicht einmal Schlittschuhläufer draußen sein. Wahrscheinlich habe ich den ganzen See für mich allein.«
»Wirklich?«, fragte der Streuner. Ich runzelte die Stirn – sein Tonfall ängstigte mich irgendwie. Wollte er Crowleys Haus ausrauben, während dieser beim Angeln war?
Wollte er Crowley zum See folgen und ihn dort töten?
»Haben Sie was vor?«, fragte Mr Crowley. »Es ist einsam, wenn man allein da draußen auf dem See ist, und ich hätte nichts gegen Gesellschaft. Eine Ersatzrute habe ich auch noch.«
Crowley, du Dummkopf.
»Das ist wirklich sehr freundlich«, erwiderte der Streuner. »Ich will mich aber nicht aufdrängen.«
Was dachte Crowley sich nur dabei? Ich wäre am liebsten aufgesprungen, um ihn zu warnen, aber ich bremste mich. Wahrscheinlich jagte ich Gespenster.
Andererseits passte Mr Crowley gut in das Opferprofil – ein älterer weißer Mann von kräftiger Statur.
»Keine Sorge«, beruhigte Crowley ihn. »Steigen Sie nur ein. Haben Sie keinen Hut?«
»Leider nicht.«
»Dann halten wir noch mal und kaufen einen«, schlug Crowley vor, »und noch etwas zu essen dazu. Ein Freund, mit dem ich angeln kann, ist mir mehr als fünf Dollar wert.«
Sie stiegen ein und fuhren los. Wieder beherrschte ich mich, ihn zu warnen, aber immerhin wusste ich, wohin sie wollten. Außerdem würden sie noch eine Weile brauchen, um den Proviant und den Hut zu kaufen. Es wäre ein Glücksspiel, aber vielleicht schaffte ich es vor ihnen bis zum See und konnte mich verstecken. Ich wollte sehen, was dort geschah.
In knapp einer halben Stunde erreichte ich den am stärksten
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