Ich bin kein Serienkiller
stellte mir vor, wie ich die Hände um Brookes Hals legte, sie zuerst streichelte und dann zudrückte, bis sie kreischte, um sich trat und würgte, bis alle ihre Gedanken sich auf mich konzentrierten, nur auf mich, bis ich ihre ganze Welt war, und dann …
»Nein!«
Auf einem Stück schwarzem Eis rutschte das Hinterrad unter mir weg, und ich drehte mich halb um mich selbst. Ich fiel nicht hin, aber sobald ich wieder sicher stand, sprang ich vom Fahrrad, hob es hoch und drosch es wie eine Keule gegen einen Telefonmast. Es krachte und vibrierte in meinen Händen, es war massiv und real. Ich ließ es fallen und lehnte mich zähneknirschend an den Mast.
Ich sollte heulen. Ich kann nicht einmal heulen wie ein Mensch.
Rasch sah ich mich um, ob mich jemand beobachtete. Ein paar Autos fuhren vorbei, aber niemand nahm Notiz von mir. »Ich muss zu Max«, murmelte ich noch einmal und hob das Fahrrad auf. Seit Wochen hatte ich ihn nicht mehr außerhalb der Schule gesehen, denn ich blieb die ganze Zeit für mich allein, versteckte mich im Schatten und schickte Botschaften an Mr Crowley. Das war ohne meine Regeln eine höchst gefährliche Angelegenheit. Meinem Fahrrad war offensichtlich nichts passiert – etwas zerkratzt war es vielleicht, aber nicht verzogen. Der Lenker stand schief, aber das konnte ich ausgleichen, indem ich ihn entsprechend hielt. So fuhr ich direkt zu Max und bemühte mich, an nichts anderes als an ihn zu denken. Er war mein Freund. Freunde waren normal. Ich konnte kein Psychofreak sein, wenn ich einen Freund hatte.
Max wohnte in einem Zweifamilienhaus in der Nähe des Sägewerks. In diesem Viertel roch es immer nach Sägemehl und Rauch. Die meisten Einwohner der Stadt, auch Max’ Mom, arbeiteten im Werk. Sein Dad fuhr für das Sägewerk einen Holzlastwagen und war ebenso oft unterwegs wie zu Hause. Ich mochte ihn nicht, und wenn ich zu Max fuhr, sah ich mich immer zuerst um, ob irgendwo der große Lastwagen geparkt war. Heute war er nicht da, also war Max wahrscheinlich allein zu Hause.
Ich legte mein Fahrrad in den Vorgarten und klingelte. Dann klingelte ich ein zweites Mal, und schließlich öffnete Max mit gelangweilter Miene. Als er mich sah, begannen seine Augen jedoch zu strahlen.
»Sieh mal, Mann – komm, sieh mal, was mein Dad mir geschenkt hat!« Er ließ sich aufs Sofa fallen, schnappte sich die Steuerung einer Xbox 360 und hielt sie hoch wie eine Trophäe. »Er ist über Weihnachten nicht da, deshalb habe ich das Geschenk schon eher bekommen. Das ist affengeil.«
Ich schloss die Tür und zog den Mantel aus. »Cool.« Er spielte irgendein Autorennen, und ich seufzte erleichtert auf. Das war genau der geistlose Zeitvertreib, den ich jetzt brauchte. »Hast du zwei Controller?«
»Du kannst den von meinem Dad nehmen.« Er deutete zum Fernseher, neben dem eine zweite Steuerung mit ordentlich aufgerolltem Kabel lag. »Mach sie bloß nicht kaputt. Wenn er zurückkommt, bringt er Madden mit, und dann spielen wir eine ganze Footballsaison durch. Er wäre stocksauer, wenn du seinen Controller kaputt machst.«
»Ich haue schon nicht mit dem Hammer drauf«, beruhigte ich ihn. Ich stöpselte die Steuerung ein und setzte mich neben ihm aufs Sofa. »Lass uns spielen.«
»Gleich«, sagte er. »Ich muss erst das hier zu Ende bringen.« Er löste die Pausentaste und fuhr noch zwei Rennen, wobei er mir jedes Mal versicherte, es sei ein Turnier, es sei bald vorbei, und er wisse noch nicht, wie er zwischen den Rennen speichern könne. Schließlich stellte er ein Zweierrennen ein, und wir spielten ein oder zwei Stunden. Er schlug mich jedes Mal, aber das war mir egal. Ich verhielt mich wie ein normaler Junge und musste niemanden töten.
»Du bist mies«, sagte er am Ende. »Ich habe Hunger. Willst du Hühnchen?«
»Klar.«
»Wir haben von gestern Abend noch was übrig. Da war unsere vorgezogene Weihnachtsfeier für Dad.« Er ging in die Küche und kehrte mit einer halb leeren Schachtel mit gebratenen Hähnchenteilen zurück. Wir setzten uns wieder hin, sahen fern und warfen die abgeknabberten Knochen in den Behälter zurück. Irgendwann tauchte Max’ kleine Schwester auf, nahm sich ein Stück und verzog sich stumm wieder in ihr Zimmer.
»Fährst du über Weihnachten weg?«, fragte er.
»Ich wüsste gar nicht wohin«, gab ich zu.
»Wir auch nicht.« Er wischte sich die Hände am Sofa ab und wühlte in der Schachtel herum, ob noch eine Hähnchenkeule zu finden sei. »Was hast du so
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