Ich bin kein Serienkiller
im Fenster erschien, die Bettdecke wegschob und sich ausgiebig streckte, ehe sie sich mit gespreizten Fingern durch die Haare fuhr. Manchmal kratzte sie sich in den Achseln oder am Hintern. So etwas tut kein Mädchen, das sich beobachtet fühlt. Sie schnitt Grimassen vor dem Spiegel, manchmal tanzte sie ein paar Schritte. Nach ein oder zwei Minuten sammelte sie ihre Sachen ein und ging duschen.
Ich fragte mich, ob ich anbieten könnte, auch bei Brookes Familie Schnee zu schippen wie bei Mr Crowley, damit ich ihn auftürmen konnte, wo ich wollte, und einen besseren Zugang zu ihrem Hof bekäme. Aber es hätte nur unnötigen Verdacht erregt, wenn ich das Gleiche nicht in der ganzen Straße täte, und dazu hatte ich keine Zeit. Ich hatte so schon genug zu tun.
Jeden Tag fand ich eine Gelegenheit, Mr Crowley eine neue Nachricht zukommen zu lassen – manchmal auf seinem Auto wie vorher, andere klebte ich an die Fensterscheiben oder so hoch an einen Türrahmen, dass Kay sie nicht erreichen konnte. Nach der zweiten Botschaft schickte ich ihm keine offenen Drohungen mehr, sondern vielmehr Beweise dafür, dass ich wusste, was er tat:
JEB JOLLEY – NIERE
DAVE BIRD – ARM
Dabei ließ ich allerdings den Streuner aus, den er am See getötet hatte – zum einen, weil ich seinen Namen nicht kannte, zum anderen, weil ich immer noch Angst hatte, er könne meine Fahrradspuren im Schnee bemerkt haben. Ich wollte nicht, dass er zwei und zwei zusammenzählte.
Am letzten Schultag schrieb ich ihm folgende Nachricht:
GREG OLSON – MAGEN
Das war ein Schuss ins Blaue, weil man Greg Olsons Leiche nicht gefunden hatte, und aus Crowleys Sicht konnte niemand etwas über den Magen wissen. Nachdem er dies gelesen hatte, verkroch er sich in seinem Haus und brütete. Am nächsten Morgen ging er in den Eisenwarenladen und kaufte Vorhängeschlösser, um den Schuppen und die Kellertür besser zu sichern. Ich machte mir Sorgen, er würde vielleicht zu paranoid und ich könnte ihn dadurch aus den Augen verlieren, aber kaum hatte er die Schlösser angebracht, da kam er schon zu uns herüber und übergab mir den neuen Schlüssel für den Schuppen.
»Ich habe den Schuppen abgesperrt, John. Man kann ja heutzutage nicht vorsichtig genug sein.« Er reichte mir den Schlüssel. »Du weißt, wo das Werkzeug ist, also halt alles so sauber, wie du es immer tust, und danke noch mal für deine Hilfe.«
»Alles klar«, erwiderte ich. Er vertraute mir immer noch – ich hätte vor Freude jubeln können und strahlte ihn an wie der allerliebste Ersatzenkelsohn. »Ich schippe natürlich weiterhin Ihren Schnee.«
Hinter mir kam meine Mom die Treppe herunter. »Hallo, Mr Crowley, ist alles in Ordnung?«
»Ich habe neue Schlösser angebracht«, erklärte er. »Ihnen würde ich das Gleiche empfehlen. Der Mörder läuft immer noch frei herum.«
»Wir schließen die Leichenhalle jeden Abend gut ab«, beruhigte Mom ihn, »und hinten, wo wir die Chemikalien lagern, haben wir ein gutes Alarmsystem. Ich glaube nicht, dass hier etwas passiert.«
»Sie haben einen guten Jungen«, sagte er lächelnd. Dann machte er ein besorgtes Gesicht und blickte misstrauisch die Straße hinunter. »Diese Stadt ist nicht mehr so sicher, wie sie es einmal war. Ich will Ihnen ja keine Angst machen, aber …« Er sah uns wieder an. »Seien Sie vorsichtig.« Damit drehte er sich um und schlurfte mit hängenden Schultern über die Straße zurück. Ich schloss lächelnd die Tür.
Ich hatte ihn getäuscht.
»Hast du heute was Lustiges erlebt?«, fragte Mom. Ich sah sie scharf an, und sie hob beschwichtigend die Hände. »Ich frag ja nur.«
Ich schob mich an ihr vorbei und stieg die Treppe hoch. »Ich will jetzt was lesen.« Das war die übliche Ausrede, wenn ich stundenlang in meinem Zimmer blieb und von meinem Fenster aus Crowleys Haus beobachtete. Zu dieser Tageszeit konnte ich nicht nahe heran, also musste ich mit dem Fenster vorliebnehmen.
»Du hockst zu viel in deinem Zimmer«, sagte sie und folgte mir die Treppe hinauf. »Heute ist der erste Tag der Weihnachtsferien. Du solltest mal rausgehen und etwas Nettes unternehmen.«
Das war neu. Worauf wollte sie nur hinaus? Ich war fast ebenso oft unterwegs wie zu Hause gewesen, weil ich mich so oft bei Mr Crowley oder Brooke herumgetrieben hatte. Mom wusste nicht, wohin ich ging und was ich tat, aber sie konnte unmöglich annehmen, dass ich zu viel in meinem Zimmer hockte. Sie führte irgendetwas im Schilde.
»Inzwischen ist
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