Ich bin kein Serienkiller
Verfolger beobachtete ihn. »Meine Leiter dürfte lang genug sein. Damit kannst du wieder hineinsteigen. Aber du musst mir versprechen, nicht noch einmal wegzulaufen.«
»Und Sie werden Mom auch nichts verraten?«
»Versprochen«, sagte er. »Abgemacht?«
»Abgemacht.« Er fuhr an mir vorbei in seine Einfahrt, dann holten wir zusammen seine Teleskopleiter aus dem Schuppen und bauten sie unter meinem Fenster auf. »Können Sie die allein wieder abbauen?«, fragte ich.
»Ich bin zwar ein alter Mann«, sagte er lächelnd, »aber nicht völlig hilflos.«
»Danke.« Ich stieg zu meinem Fenster hinauf. Als ich im Zimmer war, winkte ich, er faltete die Leiter zusammen und trug sie fort. Unterdessen schloss ich das Fenster, zog die Vorhänge zu und beobachtete ihn im Schutz der Dunkelheit. Wieder hatte ich ihn hereingelegt.
Mr Crowley brachte die Leiter weg und ging nach drinnen, schloss aber nicht die Tür. Neugierig beobachtete ich ihn, wie er gleich darauf wieder herauskam und etwas Unerwartetes tat. Er schrieb etwas auf ein Stück Papier und klebte es an seine Haustür. Ich suchte im Dunkeln nach meinem Fernglas und richtete es auf den Zettel, ohne die Vorhänge zu bewegen.
DU KANNST MICH NICHT AUFHALTEN.
ES WIRD DIR NIE GELINGEN.
Eine Nachricht an seinen Verfolger. Er verspottete ihn und drohte im Grunde damit, noch mehr Menschen umzubringen, immer und immer wieder. Seit dem letzten Mal war kaum eine Woche vergangen – wie lange noch, bis er das nächste Opfer holte? Er war ein kaltblütiger, bösartiger Killer. Ganz egal, wie sehr er seine Frau liebte und wie oft er den Nachbarn half. Er war ein Dämon. »Es« war ein Dämon.
Es musste sterben.
FÜNFZEHN
Am nächsten Morgen war in den Nachrichten nur vom neuen Todesfall die Rede. Roger Bowen, Lastwagenfahrer aus dem Ort, Ehemann und Vater, war auf der Straße vor seinem Haus verstümmelt aufgefunden worden. Der Mörder hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Leiche wegzuschaffen, ganz zu schweigen davon, sie zu verbergen.
Mom sah aus, als hätte sie mich gern umarmt, um mir oder sich selbst zu versichern, dass alles in Ordnung sei. Mütter sind wohl so, und ich hatte Schuldgefühle, weil meine es nicht richtig hinbekam. An der Art und Weise, wie sie mich betrachtete, erkannte ich, dass sie mich trösten wollte, während ihr zugleich bewusst war, dass ich nicht getröstet werden wollte. Ich war nicht traurig, sondern nachdenklich. Ich fühlte mich nicht mies, weil das Opfer tot war, sondern hatte Schuldgefühle, weil es mir nicht gelungen war, den Mörder aufzuhalten. Schließlich fragte ich mich, ob ich all das nur tat, um die Guten zu retten, oder ob ich einfach nur den Bösen töten wollte. Danach überlegte ich, ob zwischen beidem überhaupt ein wesentlicher Unterschied bestand.
Nach einer Weile fragte Mom, ob ich nicht Max anrufen wolle. Mir war klar, dass ich es hätte tun sollen, aber ich wusste nicht, was ich ihm hätte sagen sollen, also ließ ich es bleiben. So, wie niemand mich trösten konnte, war ich nicht in der Lage, jemand andern zu trösten. Das gehörte ins Reich der Empathie, und auf diesem Gebiet war ich völlig unfähig. Vielleicht hätte ich sagen können: He, Max, ich weiß, wer deinen Dad umgebracht hat, und zur Strafe werde ich ihn töten. Aber ich bin kein Dummkopf. Ob Soziopath oder nicht, ich bin klug genug, um zu wissen, dass man so etwas nicht sagen sollte. Also behielt ich alles für mich.
Sobald die Polizei am Samstagabend den Tatort geräumt hatte, richteten die Nachbarn eine Totenwache ein. Die Beerdigung musste noch warten, weil die Gerichtsmediziner des FBI gerade erst mit der Autopsie begonnen hatten. So versammelten sich einfach alle Anwohner, zündeten Fackeln an und beteten oder was auch immer. Ich hätte lieber Crowleys Haus beobachtet, aber Mom zwang mich mitzukommen. In irgendeiner Schublade trieb sie zwei alte Tafelkerzen auf, und dann fuhren wir hin. Ich war überrascht, wie groß die Versammlung war.
Max saß mit seiner Schwester, seiner Mutter und allen anderen Angehörigen von außerhalb auf der Veranda. Ich dachte, dass die Verwandten eigentlich einen großen Bogen um einen Ort machen sollten, in dem sich ein Serienmörder herumtrieb, statt auch noch hinzufahren, aber was wusste ich schon? Emotionale Bindungen bringen Menschen vermutlich dazu, Dummheiten zu begehen.
Margaret gesellte sich zu uns, und wir warfen Blumen auf die Stelle, wo die Leiche gefunden worden war. Dort lag bereits ein
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