Ich bin kein Serienkiller
Mom schlafen gegangen. Leise öffnete ich die Tür und huschte ins dunkle Haus. Hinter mir schloss ich ab, zog die Handschuhe und die Skimaske aus, ließ mich dankbar von der Wärme einhüllen und sank müde aufs Sofa. Ich war in Sicherheit.
Aber etwas stimmte nicht, auch wenn ich es nicht genau benennen konnte.
Es war still, aber nicht unheimlich still. Die Küchenuhr tickte wie immer, die Heizung röchelte wie sonst auch. Ich lauschte an der Tür meiner Mutter, rieb mir in der Kälte die Hände und hörte ihre leisen, tiefen Atemzüge. Alles war in Ordnung …
Warum war es so kalt? Zuerst war es mir nicht aufgefallen, weil es hier drinnen immer noch viel wärmer als draußen war, aber jetzt dämmerte mir, dass es vor allem im Flur erheblich kälter war als sonst. Ich wollte in mein Zimmer gehen, doch der Knauf ließ sich nicht drehen. Abgeschlossen.
Ich war durchs Fenster und nicht durch die Tür verschwunden, und das Fenster stand noch offen.
Mr Crowley würde jeden Augenblick nach Hause kommen und sich fragen, wer ihn beobachtet hatte. Dann würde er mein offenes Fenster und die Fußabdrücke im Schnee entdecken, misstrauisch werden und sich fragen, ob es bei seinem Aufbruch geschlossen gewesen war. Er würde kommen, um die Sache zu überprüfen und mich allein in der Dunkelheit finden, ausgesperrt aus meinem Zimmer und um ein Uhr morgens hellwach. Mom würde aufwachen und mich unter seinen Augen fragen, wie ich aus meinem Zimmer gekommen sei. Da würde er es begreifen und uns beide töten.
Ich kehrte zur Treppe zurück, um nach draußen zu gehen und durchs Fenster wieder einzusteigen, aber das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Er würde zurückkehren, mich vor dem Haus entdecken, wie ich gerade ins Fenster im ersten Stock kletterte, und sofort wissen, dass ich ihn beschattet hatte.
Da meine Zimmertür nach innen aufging, kam ich auch nicht an die Scharniere heran, um sie auszuheben. Ich dachte daran, sie einfach einzutreten, war aber nicht sicher, ob ich das schaffen würde, und auf jeden Fall hätte Mom es gehört. Sie wäre aufgewacht und würde mir ewig Vorwürfe machen, weil ich eine Tür zerstört hatte. Erstaunlich, dass sie in dieser Kälte überhaupt schlafen konnte. Ich spähte aus dem Wohnzimmerfenster. Die Straße lag verlassen da. Er war noch nicht zurück, ich hatte noch Zeit. Was konnte ich tun?
Crowley würde misstrauisch werden, wenn er sah, wie ich mich versteckte, aber was, wenn ich mich gar nicht zu verbergen suchte? Die Straße war immer noch leer. Ich zog meinen Mantel aus und schlüpfte in eine alte Jacke, deren Farbe sich deutlich von jener des Mantels unterschied. Ohne Handschuhe und Skimaske ging ich wieder nach draußen. Gerade rechtzeitig erreichte ich die Schneewehe unter meinem Fenster und stieg hinauf. Am Ende der Straße, noch weit entfernt, tauchten Mr Crowleys Scheinwerfer auf. Ich beobachtete, wie sie sich näherten, dann schälte sich das Auto selbst aus der Dunkelheit, und als es langsam abbremste, rannte ich auf die Straße und fuchtelte im Scheinwerferlicht wild mit den Armen. Mit einem Ruck hielt er an und kurbelte das Fenster herunter.
»John, was tust du denn hier draußen?«
»Darf ich heute Nacht bei Ihnen schlafen?«, fragte ich.
»Was?«
»Ich habe mich mit Mom gestritten«, sagte ich. »Ich bin aus dem Fenster gesprungen und wollte weglaufen, aber … es ist so kalt. Darf ich bitte bei Ihnen schlafen?«
Er blickte über die Straße zu meinem Fenster, wo die Vorhänge leicht im Wind flatterten.
»Bitte«, sagte ich.
»Das ist wohl keine so gute Idee«, widersprach er. »Unser Haus ist nicht … Es ist gefährlich, mitten in der Nacht draußen herumzulaufen, John. Es sind zu viele … Herumtreiber unterwegs. Es ist weder für dich noch für deine Mutter sicher.«
»Schicken Sie mich nicht zurück!«, flehte ich und versuchte, mir ein paar Tränen herauszuquetschen. Es gelang mir nicht. »Sie soll nicht erfahren, dass ich ausgerissen bin.«
Er dachte nach. Unverkennbar, dass er gesünder als vorhin wirkte. Aufmerksamer und gefasster, viel stabiler. Es war kaum noch zu erkennen, wie krank er eigentlich war. »Wirst du denn wieder nach Hause gehen, wenn ich dir verspreche, deiner Mutter nichts zu erzählen?«
»Mein Zimmer ist von innen abgeschlossen. Ich komme nicht mehr rein, und wenn sie mich im Wohnzimmer entdeckt, findet sie es doch heraus.«
Wieder überlegte er einen Moment lang und sah sich nervös um. Offenbar fürchtete er, sein
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