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Ich bin Legende

Ich bin Legende

Titel: Ich bin Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Matheson
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die Hand über die Augen, um sie vor der direkten Sonne zu schützen.
    Krampfhaft bissen seine Zähne in das Pfeifenrohr.
    Eine Frau!
    Er versuchte gar nicht die Pfeife aufzufangen, als sie seinem Mund entglitt. Einen langen, atemlosen Moment stand er mit ungläubig aufgerissenen Augen auf der Verandastufe.
    Er kniff die Augen zu, öffnete sie wieder. Sie war immer noch da! Er spürte, wie sein Herz immer heftiger schlug, während er die Frau beobachtete.
    Sie sah ihn nicht. Mit gesenktem Kopf ging sie durch das lange Feld. Er sah ihr rötliches Haar im Wind flattern und ihre Arme locker an den Seiten hängen. Er schluckte heftig. Es war ein so unglaublicher Anblick nach drei Jahren, dass sein Verstand es nicht fassen konnte. Immer wieder blinzelte er ungläubig und blieb reglos im Schatten des Hauses stehen.
    Eine Frau! Eine lebende Frau! Im Tageslicht!
    Mit halb offenem Mund starrte er auf die Frau. Sie war jung, das konnte er nun, als sie näher kam, ganz deutlich sehen - Mitte zwanzig, vielleicht. Sie trug ein zerknittertes, schmutziges weißes Kleid. Ihre Haut war sonnengebräunt und ihr Haar rot. In der Stille des Nachmittags glaubte Neville zu hören, wie ihre Sandalen das Gras niederdrückten.
    Ich hab Wahnvorstellungen! Die Worte drängten sich ihm auf. Diese Möglichkeit erschreckte ihn weniger, als tatsächlich zu glauben, dass die Frau echt, dass sie Wirklichkeit war! Immerhin hatte er sich schon ein paarmal vage damit beschäftigt, dass ihm seine Einsamkeit Wahnbilder vorgaukeln könnte, das wäre durchaus nichts Ungewöhnliches. Ein Verdurstender in der Wüste sah als Fata Morgana einen See. Weshalb also sollte ein Mann, der nach Gesellschaft dürstete, nicht eine Frau in der Sonne spazieren gehen sehen?
    Er zuckte zusammen. Nein, es konnte keine Täuschung sein - außer seine Wahnvorstellung war nicht nur sichtbar, sondern auch hörbar! Denn ganz deutlich vernahm er nun ihre Schritte im Gras. Nein, die Frau war Wirklichkeit. Ihr Haar flatterte, ihre Arme baumelten an den Seiten. Er blickte immer noch auf den Boden. Wer war sie? Wohin wollte sie? Woher kam sie?
    Er wusste nicht, was in ihm hochwallte. Es ging zu schnell, als dass er es hätte analysieren können. Es war ein Instinkt, der die Barriere seiner Vorsicht durchbrach.
    Er riss den linken Arm hoch.
    »Hallo!«, rief er. Er sprang hinunter auf den Bürgersteig. »Hallo!«
    Einen Augenblick herrschte absolute Stille. Ihr Kopf zuckte hoch und sie blickten einander an. Sie lebt, dachte er. Sie lebt!
    Er wollte seine Freude hinausbrüllen, aber plötzlich schnürte sich ihm die Kehle zu, seine Zunge war wie gelähmt, sein Verstand drohte auszusetzen. Sie lebt! Die beiden Worte überschlugen sich in seinem Kopf. Sie lebt! Sie lebt, lebt, lebt ...!
    Mit einem Mal wirbelte die Frau auf dem Absatz herum und rannte zurück über die Wiese.
    Einen Augenblick lang blickte Neville ihr nur nach, er wusste nicht, was er tun sollte. Plötzlich schien sein Herz die Brust zu sprengen. Seine Beine setzten sich wie von selbst in Bewegung. Er schoss über den Bürgersteig und über die Straße.
    »Warte doch!«, hörte er sich brüllen.
    Die Frau wartete nicht. Ihre bronzegetönten Beine sausten über die unebene Wiese. Da wurde ihm bewusst, dass Worte sie nicht aufzuhalten vermochten. Er dachte daran, wie erschrocken er bei ihrem Anblick gewesen war. Wie viel schlimmer musste es da für sie gewesen sein, als ein plötzlicher Schrei die lange Stille durchbrach und ein großer bärtiger Mann ihr wild zuwinkte!
    Seine Beine trugen ihn wie von selbst über den Randstein auf den gegenüberliegenden Bürgersteig und in die Wiese. Sein Herz hämmerte wie wahnsinnig. Sie lebt! Er konnte an nichts anderes denken. Sie lebt! Eine lebende Frau!
    Ihre Beine waren nicht so lang wie seine und sie konnte auch nicht so schnell laufen wie er. Er kam ihr immer näher. Mit angstverzerrten Augen schaute sie über die Schulter.
    »Ich tu dir bestimmt nichts!«, rief er, aber sie rannte weiter. Plötzlich stolperte sie und fiel auf ein Knie. Er las die grauenvolle Angst in ihren Augen, als sie sich wieder nach ihm umdrehte.
    »Ich tu dir nichts!«, brüllte er erneut.
    Verzweifelt raffte sie sich wieder auf und rannte weiter.
    Nichts war mehr zu hören außer ihren leichten und seinen schweren Schritten, die das Gras niedertraten. Er fing an, über die Halme zu springen, deren Höhe das Laufen erschwerte, und so kam er ihr noch näher, während ihr Rock, der gegen das Gras streifte, sie

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