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Ich bin Legende

Ich bin Legende

Titel: Ich bin Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Matheson
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Moment vergessen. Er spürte, wie sein Herz heftig schlug. Ihm war, als müsste er jeden Augenblick weinen.
    Fast unbewusst streckte er die Hand aus. Ihre Schulter zitterte unter ihr.
    »Ruth!«, sagte er mit tonloser Stimme.
    Er schluckte, während er sie ansah.
    »Ruth«, sagte er erneut.

16
    Reglos lag die Frau in seinem Bett. Sie schlief. Es war vier Uhr nachmittags. Gut zwanzigmal hatte Neville sich ins Schlafzimmer gestohlen, um sie anzublicken und nachzusehen, ob sie wach war. Jetzt saß er in der Küche über einer Tasse Kaffee und machte sich Sorgen.
    Was ist, wenn auch sie verseucht ist?, fragte er sich.
    Dieser Gedanke war ihm vor ein paar Stunden gekommen, als Ruth bereits schlief. Jetzt quälte er sich damit ab. Er versuchte sich selbst vernünftig zuzureden, aber die Zweifel blieben. Klar, sie war sonnengebräunt und war am helllichten Tag spazieren gegangen. Aber auch dem Hund hatte das Tageslicht nichts ausgemacht.
    Nervös trommelten Nevilles Fingerspitzen auf den Tisch. Sein schöner unkomplizierter Traum war zur komplexen Wirklichkeit geworden. Es war nicht zur glücklichen Umarmung gekommen, keine zärtlichen Worte hatten ihren Zauber um sie gewoben. Außer ihrem Namen hatte er bisher überhaupt nichts über sie erfahren. Sie zum Haus zu bekommen war ein einziger Kampf gewesen, und sie hineinzubringen ein noch schlimmerer. Sie hatte geweint und gewimmert und ihn angefleht, sie nicht zu töten. Ganz egal, wie er sie zu beruhigen versuchte, was er auch sagte, sie weinte und flehte weiter. Er hatte sich mehr eine Szene aus einem Hollywoodfilm ausgemalt gehabt: dass sie beide eng umschlungen, mit verklärtem Blick, das Haus betreten würden, und dann ein ganz großes HAPPY END. Stattdessen hatte er ihr wie einem kranken Pferd zureden und, da sie ihm einfach nicht zuhörte, mit Gewalt ins Haus schleppen müssen. Es war also alles andere als romantisch gewesen.
    Im Haus war sie nicht weniger verstört gewesen. Er hatte versucht, es ihr bequem zu machen, aber sie hatte sich genau wie der Hund in eine Ecke gedrückt. Sie aß und trank auch nichts, was er ihr gab. Schließlich hatte er keinen anderen Ausweg gesehen, als sie ins Schlafzimmer zu sperren. Dort war sie dann eingeschlafen.
    Er seufzte müde und drehte die Tasse auf dem Tisch.
    Die ganzen Jahre hatte er von einer Gefährtin geträumt, und nun, da er eine gefunden hatte, misstraute er ihr und behandelte sie grob und ungeduldig.
    Aber sie hatte ihm ja gar keine andere Wahl gelassen. Seit Langem schon hatte er sich damit abgefunden, dass er vermutlich der einzige noch normale Mensch war. Dass sie normal aussah, hatte nicht viel zu bedeuten. Zu viele, die er im Koma hatte liegen sehen, hatten so gesund ausgesehen wie sie, aber sie waren ohne allen Zweifel Vampire gewesen. Und die Tatsache, dass sie im hellen Sonnenschein herumspaziert war, war auch kein hundertprozentiger Beweis. Zu sehr quälten ihn Zweifel. Er konnte seine Vorstellung der Gesellschaft nicht mehr ändern, konnte einfach nicht mehr glauben, dass andere, die wie er waren, überlebt hatten. Und nach dem ersten Schock hatte sein inzwischen eingefleischtes Dogma sich wieder bemerkbar gemacht.
    Mit einem tiefen Seufzer erhob er sich und schaute wieder ins Schlafzimmer. Sie hatte ihre Haltung seit dem letzten Mal nicht verändert. Vielleicht, dachte er, liegt sie im Koma.
    Er stellte sich neben das Bett und blickte auf sie hinunter. Ruth! So viel wollte er über sie wissen, und doch hatte er fast Angst, seine Fragen beantwortet zu bekommen. Denn wenn sie wie die anderen war, blieb ihm nur ein Weg. Und es war besser, nicht zu viel über jemanden zu wissen, den man töten musste.
    Seine Hände zuckten an seinen Seiten. Seine blauen Augen blickten sie dumpf an. Und wenn es nur eine Laune der Natur gewesen war? Wenn sie nur aus ihrem Koma erwacht und spazieren gegangen war? Es schien ihm durchaus möglich zu sein. Und doch, soweit er wusste, war gerade Tageslicht das, was der Bazillus nicht vertrug. Wieso genügte das dann nicht, ihn zu überzeugen, dass sie normal war?
    Nun, es gab nur eine Möglichkeit, es ganz sicher festzustellen.
    Er beugte sich über sie und legte eine Hand auf ihre Schulter.
    »Wach auf!«, sagte er.
    Sie rührte sich nicht. Er presste die Lippen zusammen, und seine Finger klammerten sich fester um ihre weiche Schulter.
    Da bemerkte er das dünne Goldkettchen um ihren Hals. Mit rauen Fingern zog er es aus dem Ausschnitt ihres Kleides.
    Er betrachtete das winzige

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