Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
still gewesen. Noch nie zuvor hatte es im Herzen unserer Hauptstadt eine bewaffnete Auseinandersetzung in diesem Ausmaß gegeben. Einzelne Kommandos kämpften sich stundenlang Meter um Meter vorwärts, bis sie Abdul Rashid und seine Anhänger im Keller stellten. Abdul Rashid wurde dabei getötet.
Am Abend des 10 . Juli, als endlich alles vorüber war, hatten etwa hundert Menschen, unter ihnen auch mehrere Soldaten und viele Kinder, ihr Leben verloren. Das Fernsehen zeigte erschreckende Bilder der Trümmer und der Leichen. Wir sahen es voller Entsetzen. Einige der Schüler an den beiden Madaris stammten aus dem Swat. Wie konnte so etwas in Islamabad geschehen, und noch dazu in einer Moschee? Für uns ist eine Moschee eine Moschee. Niemand machte sich Gedanken, was hinter ihren Mauern vorging.
Nach der Belagerung der Roten Moschee wurden die Swat-Taliban noch radikaler. Am 12 . Juli – daran erinnere ich mich, weil es mein Geburtstag war – hielt Fazlullah im Radio eine Ansprache, die anders war als seine vorherigen. Er wütete gegen den Angriff auf die Rote Moschee und schwor, den Tod von Abdul Rashid zu rächen. Dann erklärte er der pakistanischen Regierung den Krieg.
Damit begannen im Swat die wirklichen Probleme. Vor dem Feuer auf die Rote Moschee konnte Fazlullah die Menschen nicht in einem größeren Ausmaß motivieren. Nun hatte er einen Grund, die Taliban im Namen von Lal Masjid weiter aufzuhetzen. Einige Tage später wurde ein militärischer Konvoi angegriffen, der Richtung Swat unterwegs war. 13 Soldaten verloren dabei ihr Leben.
Nun kam es nicht nur im Swat-Tal zu Protesten. Im Bajaur lehnten sich die Stämme auf, und eine Welle von Selbstmordattentaten erschütterte das Land.
Doch einen Hoffnungsschimmer gab es. Benazir Bhutto kehrte zurück. Die Amerikaner machten sich Sorgen, dass ihr Verbündeter, General Musharraf, zu unpopulär werden könnte, um gegen die Taliban eine Hilfe zu sein. Also hatten sie dafür gesorgt, dass die beiden eine merkwürdige Machtaufteilungsvereinbarung schlossen. Die beinhaltete einen Deal: Musharraf sollte die Uniform ablegen und als Präsident in Zivil regieren, unterstützt von Benazirs Partei. Im Gegenzug sollte Musharraf die Korruptionsvorwürfe gegen Benazirs Ehemann fallenlassen und freien Wahlen zustimmen.
Jeder ging damals davon aus, dass Benazir Premierministerin werden würde. Kein Pakistani glaubte, dass dieser Deal funktionieren würde. Auch mein Vater nicht.
Benazir war seit meinem zweiten Lebensjahr im Exil gewesen. Doch von meinem Vater hatte ich so viel von ihr gehört, dass ich ganz aufgeregt war bei der Vorstellung, sie würde wiederkommen und Pakistan würde erneut eine Politikerin an der Spitze haben. Nur wegen ihr konnten Mädchen wie ich davon träumen, Politikerin zu werden und frei ihre Meinung zu äußern. Sie war unser Vorbild und stand für das Ende der Diktatur, den Beginn der Demokratie und für jene Botschaft von Hoffnung und Stärke, die wir an die Welt gesandt hatten. Außerdem war sie die einzige führende Politikerin, die sich gegen die militanten Kämpfe aussprach und den USA bei der Ergreifung von Osama Bin Laden Unterstützung zusicherte.
Einige waren davon offensichtlich nicht begeistert. Als Benazir Bhutto am 18 . Oktober 2007 aus ihrem Exil zurückkehrte, saßen wir alle vor dem Fernseher und verfolgten, wie sie in Karachi die Stufen des Flugzeugs herabstieg. Sie hatte Tränen in den Augen, weil sie nach fast neun Jahren in Dubai wieder pakistanischen Boden betrat. Danach fuhr sie in einem offenen doppelstöckigen Bus durch die Stadt, vorbei an Hunderttausenden Menschen. Sie waren aus dem ganzen Land gekommen, manche hatten sogar ihre kleinen Kinder mitgebracht. Einige ließen weiße Tauben fliegen, eine davon ließ sich auf Benazirs Schulter nieder. Die Menge stand so dicht, dass der Bus nicht einmal Schritttempo fahren konnte. Nach einer Weile schalteten wir den Fernseher aus, weil klar war, dass das Stunden dauern würde.
Ich war schon im Bett, als kurz vor Mitternacht ihr Bus in die Luft flog. Mein Vater erzählte es mir, als ich am nächsten Morgen aufwachte. Er und seine Freunde waren so schockiert gewesen, dass sie gar nicht erst schlafen gegangen waren. Glücklicherweise hatte Benazir überlebt. Sie hatte sich gerade unten aufgehalten, im gepanzerten Teil des Busses, um sich ein wenig auszuruhen, als die Explosion erfolgte. 150 Menschen kamen dabei ums Leben. Es war die größte Bombe, die je in unserem
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