Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
beschuldigt!«
In manchen Dingen aber waren die Soldaten nicht anders als die militanten Kämpfer. Einer unserer Nachbarn erzählte uns, sie hätten die Leichname getöteter Taliban in den Straßen liegen lassen, damit jeder sie sah.
Nun flogen ihre Hubschrauber paarweise über uns hinweg wie riesige schwarze Insekten. Wenn wir nach Hause gingen, blieben wir nah an den Wänden, damit sie uns nicht sahen.
Wir hörten, dass man Tausende von Menschen verhaftet hatte, darunter auch achtjährige Jungen, die die Taliban einer Gehirnwäsche unterzogen hatten, damit sie als Selbstmordattentäter Anschläge für sie verübten. Die Armee schickte sie zur Umerziehung in besondere Lager für Dschihadisten.
Unter den Verhafteten war auch unser alter Urdu-Lehrer, der sich geweigert hatte, Mädchen zu unterrichten. Stattdessen hatte er Fazlullahs Männern geholfen, CD s und DVD s einzusammeln und zu zerstören.
Fazlullah selbst war immer noch nicht gefasst. Die Armee hatte sein Hauptquartier in Imam Deri zerstört und bekannt gegeben, man habe ihn in den Hügeln von Peochar umzingelt. Dann hieß es, er sei schwer verwundet und man habe seinen Sprecher, Muslim Khan, verhaftet. Später allerdings wurde die Geschichte eine andere: Fazlullah habe angeblich die Grenze nach Afghanistan überquert und halte sich mittlerweile in der Provinz Kunar auf. Wie konnte so etwas passieren, wenn man ihn schon festgesetzt hatte? Manche Leute behaupteten, Fazlullah sei zwar schon in Gewahrsam gewesen, doch Armee und ISI hätten sich nicht einigen können, was sie mit ihm anfangen sollten. Die Armee wollte ihn ins Gefängnis stecken, doch der Geheimdienst hatte sich durchgesetzt und ihn nach Bajaur gebracht, wo er schließlich über die afghanische Grenze entkam.
Muslim Khan und ein anderer Taliban-Führer namens Mehmud schienen die Einzigen zu sein, die in Haft saßen. Alle anderen liefen immer noch frei herum. Solange Fazlullah auf freiem Fuß war, fürchtete ich, würden sich die Taliban erneut formieren und wieder die Macht übernehmen. Nachts hatte ich manchmal Alpträume, doch zumindest hatten Fazlullahs Radiosendungen aufgehört.
Ahmad Shah, ein Freund meines Vaters nannte das einen »kontrollierten, doch nicht dauerhaften Frieden«. Aber allmählich kehrten die Menschen ins Swat zurück, denn das Tal ist schön, und wir können es nicht ertragen, lange Zeit fern von ihm zu leben.
***
Am 1 . August erklang unsere Schulglocke von neuem. Es war wunderbar, ihr Läuten wieder zu hören und die Stufen hinaufzurennen, wie ich es gewohnt war. Ich war überglücklich, all meine Freundinnen wiederzusehen. Wir hatten uns von unserer Zeit als Flüchtlinge im eigenen Land so viel zu erzählen. Die meisten von uns waren bei Freunden oder Verwandten untergekommen. Einige allerdings hatten auch in den Lagern gelebt. Meine Freundinnen und ich wussten, dass wir Glück hatten. Viele Kinder mussten in Zelten unterrichtet werden, weil die Taliban ihre Schulen zerstört hatten. Doch Sundus, eine meiner Freundinnen, hatte ihren Vater verloren, der bei einem Bombenanschlag getötet wurde.
Scheinbar wusste jetzt auch jeder, dass ich das Tagebuch für die BBC geführt hatte. Manche glaubten zwar, es sei in Wirklichkeit mein Vater gewesen, der das alles geschrieben hätte, doch Madam Maryam, unsere Rektorin, erklärte immer: »Nein, Malala ist nicht nur eine gute Rednerin, sie kann auch schreiben.«
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In diesem Sommer gab es nur ein Gesprächsthema in meiner Klasse. Shiza Shahid, unsere Freundin in Islamabad, hatte ihr Studium in Stanford beendet und lud 27 Mädchen der Khushal-Schule für ein paar Tage in die Hauptstadt ein. Neben Stadtbesichtigungen stand ein Workshop auf dem Programm, der uns helfen sollte, über die Traumen der Taliban-Zeit hinwegzukommen. Aus meiner Klasse waren es Moniba, Malka-e-Noor, Rida, Karishma, Sundus und ich, die fahren durften. Mein Vater, meine Mutter und Madam Maryam begleiteten uns.
Am 14 . August, dem pakistanischen Unabhängigkeitstag, ging es mit dem Bus los. Wir Mädchen waren alle aufgeregt. Die meisten von uns hatten das Swat bislang nur zwangsweise verlassen, als wir aus dem Tal hatten fliehen müssen. Das hier aber war etwas ganz anderes. Es fühlte sich viel mehr wie die Ferienreisen an, die wir aus Romanen kannten. Wir waren in einem Gästehaus untergebracht und machten viele Workshops mit, damit wir lernten, wie wir unsere Geschichte erzählen konnten. Schließlich sollten die Menschen wissen, was in unserem
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