Ich bin Malala: Das Mädchen, das die Taliban erschießen ...
getötet. Er hatte Freunde und Bekannte zum Fastenbrechen nach dem Ramadan in sein Gästehaus in der Nähe von Imam Deri eingeladen, einst der Sitz von Fazlullahs Hauptquartier. Auch er war ein mutiger Kritiker der Taliban gewesen. Dr. Shamsher starb an Ort und Stelle. Neben ihm wurden neun weitere Menschen getötet. Es hieß, der Attentäter sei höchstens 18 Jahre alt gewesen. Die Polizei fand die abgerissenen Beine und andere Körperteile von Dr. Shamsher.
Ein paar Wochen danach bat man mich zur District Child Assembly von Swat, die von Khpal Kor (»Mein Heim«), einer Stiftung für Waisenkinder, gemeinsam mit der UNICEF gegründet worden war. Aus dem Swat wurden 60 Schüler, meist Jungen, als Mitglieder ausgewählt, doch von meiner Schule hatte man elf Mädchen eingeladen. Das erste Treffen fand in einer großen Halle mit vielen Politikern und politisch engagierten Menschen statt. Es gab eine Abstimmung, wer der Sprecher unserer Gruppe sein sollte, und ich bekam die meisten Stimmen! Es war merkwürdig, da aufs Podium zu steigen und zu hören, wie man mich als »Frau Sprecherin« anredete. Andererseits war es wichtig, dass die Erwachsenen erfuhren, was uns bewegte.
Die Versammlung war in dieser Form für ein Jahr gewählt, und wir trafen uns einmal im Monat. Wir verabschiedeten neun Resolutionen, in denen wir zum Beispiel das Ende der Kinderarbeit forderten, aber auch Maßnahmen, die behinderten und obdachlosen Kindern den Schulbesuch ermöglichten. Und wir setzten uns für den Wiederaufbau aller Schulen ein, die die Taliban zerstört hatten. Sobald ein solcher Beschluss gefasst war, wurde er den Behörden übermittelt. Einige von unseren Resolutionen fanden sogar Berücksichtigung. Daneben wurden Moniba, Ayesha und ich in das journalistische Handwerk eingeführt. Eine britische Organisation, das Institute for War and Peace Reporting, hatte »Open Minds Pakistan« gegründet, einen Verein, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, jungen Leuten beizubringen, über ihre Erlebnisse zu schreiben. Es machte Spaß zu lernen, wie man über Ereignisse berichtet. Seit ich gesehen hatte, wie viel Worte bewegen können, interessierte ich mich für den Journalismus. Nicht zu vergessen die
Alles Betty!
- DVD s. Schließlich arbeitete auch Betty bei einer amerikanischen Zeitschrift. Aber natürlich war das bei uns etwas ganz anderes. Wir schrieben über Dinge, die uns unmittelbar betrafen, also eher über den Extremismus und die Taliban als über Klamotten und Hairstyling.
Bald standen erneut Examen an. Wieder einmal schlug ich Malka-e-Noor beim Kampf um den ersten Platz, es war ein echtes Kopf-an-Kopf-Rennen. Unsere Rektorin hatte sie überreden wollen, Vertrauensschülerin zu werden, doch Malka-e lehnte ab. Sie wollte keine Aufgaben übernehmen, die sie vom Lernen abhielten. »Du solltest dir an Malala ein Beispiel nehmen«, meinte Madam Maryam. »Sich zu engagieren ist genauso wichtig wie Bildung. Später eine Arbeit zu haben ist schließlich nicht alles im Leben.« Aber eigentlich war es nicht Malka-es Fehler, dass sie nicht Vertrauensschülerin werden wollte. Ihre Mutter steckte dahinter, die sie enorm unter Druck setzte.
Das Swat war nicht mehr wie vorher, würde es nie mehr sein. Trotzdem stellte sich allmählich eine gewisse Normalität ein. Sogar einige der Tänzerinnen aus der Banr Bazaar waren zurückgekehrt, obwohl sie nun hauptsächlich DVD s produzierten und kaum noch live auftraten.
Wir genossen Friedensfestivals mit Musik und Tanz, Dinge, die unter den Taliban nicht erlaubt waren. Mein Vater organisierte eines der Festivals in Marghazar, zu dem er alle einlud, die in den Gebieten unterhalb Islamabads Flüchtlinge in ihr Haus genommen hatten. Die Musik spielte die ganze Nacht.
Überhaupt schien vieles immer dann zu geschehen, wenn ich Geburtstag hatte. Als ich im Juli 2010 13 wurde, begann jedenfalls der Regen. Normalerweise haben wir im Swat keinen Monsun, daher freuten wir uns anfangs noch über dieses Ereignis, weil wir dachten, das gäbe eine gute Ernte. Doch der Regen hörte nicht mehr auf. Die Tropfen fielen so dicht, dass man Menschen, die vor einem standen, nicht mehr sehen konnte.
Umweltschützer hatten uns gewarnt, denn Holzschmuggler und Taliban hatten unsere Berge abgeholzt. Bald stürzten tödliche Schlammfluten in die Täler und rissen alles mit, was sich ihnen in den Weg stellte.
Wir waren in der Schule, als die Flut einsetzte, und sofort schickte man uns nach Hause. Doch das schmutzige
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