Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
äußere Reize sind zwar zuerst instinktiv, doch bald spiegeln sie eine konditionierte oder gelernte (oder aufgezeichnete) Erfahrung wieder. Zum Beispiel lernt der Säugling, in die Richtung der mütterlichen Schritte zu schauen. Wenn alle Erfahrungen und Gefühle aufgezeichnet sind, dann können wir die äußerste Panik oder Wut oder Furcht, die wir heute in bestimmten Situationen empfinden, als ein Wiedererleben des ursprünglichen Zustands von Panik oder Wut oder Furcht verstehen, den wir als Säugling empfunden haben. Wir können das dann als die Wiedergabe der originalen Bandaufnahme betrachten.
Um zu verstehen, was sich daraus alles ergibt, müssen wir die Situation des Säuglings untersuchen. Auf der Abbildung 7 sehen wir eine Linie, die die Lebensspanne vom Augenblick der Empfängnis bis zum Alter von fünf oder sechs Jahren darstellt. Der erste Zeitabschnitt umfasst die neun Monate zwischen Empfängnis und biologischer Geburt. In diesen neun Monaten beginnt das Leben in der vollkommensten Umwelt, die das menschliche Individuum jemals bewohnen kann. Diese Art von Leben wird als symbiotische Intimität bezeichnet.
Dann wird das kleine Individuum bei der biologischen Geburt innerhalb weniger Stunden in eine katastrophale Kontrastsituation hinausgestoßen, in der es den fremdartigen und zweifellos furchterregenden neuen Umweltbedingungen von Kälte, Rauheit, Druck, Lärm, Haltlosigkeit, Helligkeit, Getrenntsein und Verlassenheit ausgesetzt ist. Für kurze Zeit ist der Säugling abgeschnitten, abgetrennt, alleingelassen, beziehungslos. Die vielen Theorien über das Geburtstrauma stimmen in der Annahme überein, dass die durch dieses Ereignis aufgewühlten Gefühle aufgezeichnet und in irgendeiner Form im Gehirn aufbewahrt sind. Diese Annahme wird durch die zahlreichen, sich wiederholenden Träume vom «Abflussrohr» bestätigt, die viele Menschen nach extremen Stress-Situationen träumen. Die Patienten schildern einen Traum, in dem sie aus einem ruhigen Wasser in ein Siel oder in ein Abflussrohr gerissen werden. Sie fühlen, wie sie immer schneller abtreiben und wie der Druck stärker und stärker wird. Dieses Gefühl wird auch bei Klaustrophobie erlebt. Der Säugling wird mit überwältigenden, unangenehmen Reizen überschwemmt, und die daraus entstehenden Gefühle sind nach Freud das Modell für alle spätere Angst. [7]
Wenige Augenblicke danach begegnet dem Säugling ein Retter, ein anderer Mensch, der ihn hochnimmt, ihn warm einhüllt, ihn hält und mit dem beruhigenden Akt des «Streichelns» beginnt. Das ist der Augenblick der psychologischen Geburt (Abb. 7). Das Streicheln ist die erste Information darüber, dass das Leben «da draußen» nicht ganz und gar schrecklich ist. Es ist eine Versöhnung, eine Wiederherstellung der Verbundenheit. Es setzt seinen Lebenswillen in Gang. Streicheln oder ständig wiederholter körperlicher Kontakt ist für den Säugling lebensnotwendig. Ohne das stirbt er, wenn nicht physisch, dann psychisch. Früher traten Todesfälle durch Marasmus (allgemeiner körperlicher und geistiger Kräfteschwund und Verfall) häufig in Findelhäusern auf, wo die Säuglinge das frühe Streicheln entbehren mussten. Es gab keine körperlichen Ursachen zur Erklärung dieser Todesfälle außer dem Fehlen der offenbar unentbehrlichen «belebenden» Reizung durch Streicheln.
Abb. 7
Die vier Geburten des Menschen
Dieses beruhigende Pflegen und Umhegen wird nun aber auch dem normalen Säugling nicht ohne Unterbrechung gewährt. Darum schwankt seine Stimmung immer hin und her zwischen Zufriedenheit und Unzufriedenheit: ständig befindet er sich im Ungleichgewicht. In den ersten zwei Lebensjahren hat er keine begrifflichen Denkwerkzeuge – nämlich
Worte
–, um sich mit deren Hilfe eine Erklärung für diese unsichere Stellung in seiner Welt aufzubauen. Doch sein Gehirn zeichnet ständig die Gefühle auf, die aus der Beziehung zwischen ihm und anderen, in erster Linie zwischen ihm und seiner Mutter, entstehen. Und diese Gefühle hängen engstens mit Streicheln oder Nicht-Streicheln zusammen. Wer streichelt, ist o.k. Die Selbsteinschätzung des Säuglings ist unsicher, weil seine O.K .-Gefühle vorübergehend sind und ständig durch NICHT O.K .-Gefühle ersetzt werden. Schließlich bringt ihn diese Ungewissheit zu der Überzeugung: ICH BIN NICHT O.K. In welchem Alter entscheidet sich das Kind nun endgültig für die Anschauung ICH BIN NICHT O.K . – IHR SEID O.K .?
Der Schweizerische
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