Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
Psychologe Professor Jean Piaget kam auf Grund genauer Beobachtungen von Säuglingen und Kleinkindern zu dem Schluss, dass das Kausalitätsbewusstsein, das heißt die Einsicht in den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, beim Kind schon in den ersten Lebensmonaten erwache und dass es gegen Ende des zweiten Lebensjahres voll entwickelt sei. [8] Mit anderen Worten: am Anfang wirbeln ungezählte Eindrücke wild durcheinander, allmählich kristallisieren sich in diesem Chaos einige Anhaltspunkte heraus; durch Wiederholung prägen sie sich in ihrer zeitlichen Abfolge ein, bis sich aus den nunmehr folgerichtig verknüpften Informationen bestimmte «Erfahrungsmuster» zusammensetzen, die noch vor dem Spracherwerb des Kindes zu einer Anschauung, zu einer Grundeinstellung, zu einer prälogischen Schlussfolgerung führen. Piaget sagt: «Im Laufe der ersten zwei Kindheitsjahre scheinen die Entfaltung sensomotorischer Intelligenz und dazu die entsprechende Deutung des Universums zu einem
Gleichgewichtszustand
zu führen, der an das rationale Denken grenzt.» Ich glaube, dass dieser Gleichgewichtszustand, der sich gegen Ende des zweiten oder während des dritten Lebensjahres zeigt, das Ergebnis der Schlussfolgerung ist, die das Kind über sich selbst und andere zieht: seine
Lebensanschauung
. Wenn es sich für diese Anschauung einmal entschieden hat, hat das Kind eine feste Ausgangsposition, die Voraussagen möglich macht. Piaget erklärt, dass diese ersten geistigen Prozesse noch nicht in der Lage sind, «Wahrheiten zu erkennen oder festzustellen», sondern dass sie auf den Wunsch nach Erfolg oder praktischer Anpassung beschränkt sind: Wenn ICH NICHT O.K. BIN und DU O.K. BIST , was kann ich dann tun, dass du, eine O.K. -Person, gut bist zu mir, zu einer NICHT O.K .-Person? Die Anschauung mag ungünstig erscheinen, aber dem Kind prägt sie sich so ein, und sie ist immerhin besser als nichts. So entsteht der Gleichgewichtszustand. Das Erwachsenen-Ich in dem kleinen Menschen hat es zum ersten Mal fertiggebracht, dem Leben einen Sinn zu geben, das «zentrale Lebensproblem» (Alfred Adler) zu lösen: die Einstellung gegenüber anderen, und das zu klären, was der amerikanische Psychiater und Psychoanalytiker Harry Stack Sullivan (1892–1949) die «Einstellungen gegenüber sich selbst» genannt hat, «die das Individuum für immer beibehält».
Eine der klarsten Formulierungen des Vorgangs, wie sich die Einstellungen, Anschauungen oder Positionen entwickeln, stammt von Lawrence S. Kubie:
«Eine sichere Ableitung dürfen wir vornehmen, nämlich dass in einem frühen Lebensalter, zuweilen während der ersten Monate, zuweilen später,
eine emotionale Kernposition bezogen wird …
Klinisch erhärtete Tatsachen sprechen dafür, wenn eine emotionale Kernposition erst einmal bezogen ist zu Anfang des Lebens, dass sie dann zu derjenigen affektiven Position wird,
auf welche sich das betreffende Individuum meist ganz automatisch zurückziehen wird während seines ganzen Lebens
. Diese Kernposition kann entweder zur stärksten oder zur verwundbarsten Stelle in seinem Leben werden … Wenn die emotionale Kernposition ständig schmerzhafte Konflikte verursacht, muss sich ein Individuum vielleicht ein Leben lang dagegen zur Wehr setzen. Es bedient sich dabei sowohl bewusster, als auch vorbewusster, als auch unbewusster Taktiken immer mit dem Ziel, sich gegen diesen ausstrahlenden Unruheherd in seinem Inneren abzuschirmen.» [9]
Kubie stellt dann die Frage, ob diese Positionen oder Anschauungen im späteren Leben zu verändern sind oder nicht. Ich glaube, sie können verändert werden. Obwohl die Früherfahrungen, die zu der grundlegenden Lebensanschauung geführt haben, nicht gelöscht werden können, glaube ich, dass diese früh angeeignete Grundanschauung revidierbar ist: denn es handelt sich hier ja um eine Entscheidung und nicht um ein Naturgesetz, und
Entscheidungen können grundsätzlich auch wieder aufgehoben werden
.
Die Transaktions-Analyse kommt zu folgendem Schema der vier möglichen Lebensanschauungen, wie ein Mensch sich selbst und andere sieht:
Ich bin nicht o.k. – du bist o.k.
Ich bin nicht o.k. – du bist nicht o.k.
Ich bin o.k. – du bist nicht o.k.
Ich bin o.k. – du bist o.k.
Bevor ich jede Lebensanschauung genauer beschreibe, möchte ich einige allgemeine Feststellungen über Lebensanschauungen an sich treffen. Ich glaube, dass bis zum Ende des zweiten Lebensjahres oder irgendwann während des dritten
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