Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
Mensch mit dieser Lebensanschauung gibt auf. Er hat keine Hoffnung. Er vegetiert einfach dahin und kann schließlich in einem Stadium extremer Abgestumpftheit in einer Heilanstalt enden, wo sein regressives Verhalten eine vage, archaische Sehnsucht nach einem Leben wie in seinem ersten Lebensjahr widerspiegelt, in dem er das einzige Streicheln bekommen hat, das er kennt – als Säugling, der im Arm gehalten und gefüttert wurde.
Man kann sich kaum vorstellen, dass jemand ohne irgendwelches Streicheln durchs Leben geht. Selbst wenn die eigene Mutter nicht gestreichelt hat, hat es doch sicher Personen gegeben, die sich um einen Menschen in dieser Lage kümmern konnten und ihn tatsächlich gestreichelt haben. Doch wenn eine Lebensanschauung einmal entschieden ist, wird alle Erfahrung ausgewählt nach dem Gesichtspunkt, ob sie die Lebensanschauung untermauert und dann in diesem Sinne interpretiert. Wenn ein Mensch zu dem Schluss kommt: DU BIST NICHT O.K. , dann gilt das für alle anderen Menschen, und er lehnt ihr Streicheln ab, auch wenn es noch so echt ist. Er hat ursprünglich ein gewisses Maß an Geschlossenheit oder Sinn in seiner frühen Schlussfolgerung gefunden. Deshalb können neue Erfahrungen sie nicht ohne weiteres umstoßen. Denn Lebensanschauungen sind von Natur deterministisch. Außerdem hört ein Individuum mit dieser Lebensanschauung auf, sein Erwachsenen-Ich im Hinblick auf seine Beziehungen zu anderen zu gebrauchen. Daher ist es auch in der Therapie schwierig, sein Erwachsenen-Ich zu erreichen, und dies, weil auch der Therapeut in die Kategorie DU BIST NICHT O.K . fällt.
Es gibt eine Voraussetzung, unter der ICH BIN NICHT O.K . – DU BIST NICHT O.K . die Anfangsanschauung sein kann statt der zweiten, die auf die erste folgte. Diese Voraussetzung ist gegeben beim autistischen Kind. Das autistische Kind bleibt psychisch ungeboren. Frühkindlicher Autismus scheint die Reaktion des unreifen Organismus auf katastrophalen Stress in einer Außenwelt zu sein, in der es kein Streicheln gibt,
das ihn erreicht
. Das autistische Kind hat sich in den kritischen ersten Lebenswochen nicht gerettet gefühlt, so als hätte es nach seiner katastrophalen Ausstoßung ins Leben «dort draußen» keinen gefunden.
Schopler [12] nimmt einen physiologischen Faktor an, der im Verein mit ungenügendem Streicheln ein Kind autistisch werden lässt. Dieser Faktor könnte eine hohe Reizschwelle sein, sodass das erteilte Streicheln nicht aufgenommen wird. Das Kind entbehrt dann zwar das Streicheln nicht völlig, doch es entbehrt die entsprechende Empfindung oder die nötige Summation dieser Empfindungen. Die Eltern halten das Kind dann für reaktionslos (es mag nicht getragen werden, es liegt einfach da, es ist so anders), und dann wird ihm auch das bisherige Streicheln entzogen, weil «es nicht angefasst werden mag».
Möglicherweise hätte tüchtiges Streicheln (mehr, als normalerweise gegeben wird) die Schwelle überwunden.
Ich habe einmal beobachtet, wie ein elfjähriger autistischer Junge, der nicht sprechen konnte, die Empfindung der ICH-BIN-NICHT-O.K . – DU-BIST-NICHT-O.K .-Anschauung zum Ausdruck brachte: Kräftig und anhaltend schlug er mit der Faust zuerst seinen Betreuer, dann seinen eigenen Kopf. Es war, als wollte er so seine ganze Lebenseinstellung ausdrücken: DU BIST NICHT O.K. und ICH BIN NICHT O.K ., darum mache ich uns beide kaputt.
Ich bin o.k. – du bist nicht o.k.
Ein Kind, das lange genug terrorisiert worden ist von seinen Eltern, die es doch anfänglich für O.K . gehalten hat, wird zu der dritten, der kriminellen Lebensanschauung übergehen: ICH BIN O.K. – DU BIST NICHT O.K . Eine O.K .-Seite ist vorhanden, doch wie kommt sie zustande? Wo ist die Quelle des Streichelns, wenn das Urteil lautet: DU BIST NICHT O.K. ?
Diese Frage ist schwierig, wenn man berücksichtigt, dass die Grundanschauung im zweiten oder dritten Lebensjahr gewonnen wird.
Wenn ein Zweijähriges schließt: ICH BIN O.K. , ist dann sein O.K . das Produkt von «Selbststreicheln», und wenn ja, wie streichelt ein kleines Kind sich selbst?
Ich glaube, dass dieses Selbststreicheln tatsächlich dann auftritt, wenn ein kleiner Mensch sich von größeren, schmerzhaften Verletzungen erholt, wie die misshandelten Kinder sie erleiden. Diese Kinder werden so schwer geschlagen, dass sie Platzwunden, Prellungen und Knochenbrüche davontragen. Jeder, der einmal einen Knochenbruch oder starke Prellungen hatte, kennt den Schmerz. Bei den
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