Ich bin o.k. – Du bist o.k. • Wie wir uns selbst besser verstehen und unsere Einstellung zu anderen verändern können. Eine Einführung in die Transaktionsanalyse
Unzulänglichkeit vor sich hin.» [25]
Wenn jemand sagen kann: «Das ist mein Eltern-Ich» oder «Das ist mein Kindheits-Ich», dann sagt er dies mit seinem Erwachsenen-Ich, auf das er eben durch die innere Beweisaufnahme und Zeugenvernehmung umgeschaltet hat. In einer Stress-Situation kann man augenblicklich Erleichterung verspüren, wenn man sich ganz einfach fragt: «Was reagiert jetzt?»
Wenn man ein Gespür bekommt für das eigene Kindheits-Ich, wird man auch sensibler für das Kindheits-Ich in anderen. Niemand liebt den Menschen, den er fürchtet. Wir fürchten in anderen ihr Eltern-Ich. Ihr Kindheits-Ich können wir lieben. In einer schwierigen Transaktion hilft es oft, im anderen den kleinen Jungen oder das kleine Mädchen zu
sehen
und mit diesem kleinen Jungen oder Mädchen nicht herablassend, sondern liebevoll und beschützend zu reden. Im Zweifelsfall soll man streicheln. Wer auf das Kindheits-Ich eines anderen reagiert, fürchtet dessen Eltern-Ich nicht.
Ein Beispiel für das «Reden mit dem kleinen Jungen» gibt Adele Rogers St. Johns in ihrem Buch
‹Tell No Man›
, in dem Hank Gavin sagt:
«Ich – ich sah plötzlich
durch
das, was sie jetzt waren, hindurch. Das ist mir schon ein paarmal bei wichtigen Verhandlungen mit Männern, mit Firmenchefs passiert – ich bekam eine Vorstellung von ihnen, als würde ich
durch
sie
hindurchsehen
– und manchmal zeigte sich da ein seltsamer, sehnsuchtsvoller, verwegener Bursche – wie das Kind, das er einst gewesen war, als er mit einer Dose voll Würmern zum Angeln ging. Das mag weit hergeholt klingen, aber es ist ein paarmal passiert, und – und ich habe
diesen
Burschen angesprochen, und ich hatte Erfolg.» [26]
Dieser
Bursche war das Kindheits-Ich.
Eine andere Möglichkeit zur Stärkung des Erwachsenen-Ichs liegt darin, sich die Zeit zu nehmen und einige große Entscheidungen über Grundfragen zu treffen, wodurch viele kleinere Entscheidungen überflüssig werden. Diese großen Entscheidungen können immer wieder überprüft werden, doch die Zeit, die man braucht, um sie zu treffen, muss nicht auf jeden Vorfall verschwendet werden, in dem Grundwerte eine Rolle spielen. Sie sind ein sicheres moralisches Fundament für all die unzähligen kleinen Alltagsprobleme, bei denen man sich fragt: Was soll ich tun?
Diese großen Entscheidungen erfordern bewusste Anstrengung. Mitten in einem Orkan kann man niemandem Navigation beibringen. Ebenso wenig lässt sich ein Wertsystem aufbauen in dem Bruchteil einer Sekunde zwischen Wutgeschrei des Sohnes: «Michael hat mir ins Gesicht gehauen» und der eigenen Erwiderung darauf. Man kann keine konstruktive Transaktion unter Führung des Erwachsenen-Ichs durchführen, wenn Grundwerte und Prioritäten nicht zuvor überdacht worden sind.
Wer ein Segelboot besitzt, wird sich anstrengen, ein guter Navigator zu werden, weil er informiert ist über die Konsequenzen, mit denen ein schlechter rechnen muss. Er wartet nicht erst den nächsten Sturm ab, um herauszufinden, wie das Funkgerät funktioniert.
Wer verheiratet ist, wird sich anstrengen, ein guter Partner zu werden, weil er gelernt hat, womit ein schlechter rechnen muss. Er arbeitet ein Wertsystem aus, das seiner Ehe zugrunde liegt und sich als nützlich erweist, sobald Schwierigkeiten auftreten. Dann ist das Erwachsenen-Ich darauf vorbereitet, bei Transaktionen die Führung zu übernehmen mit einer Frage wie: «Was ist hier wichtig?»
Das Erwachsenen-Ich kann in seiner Funktion als Wahrscheinlichkeitsberechner ein Wertsystem ausarbeiten, das sowohl auf die Zweierbeziehung in der Ehe als auch auf alle anderen zwischenmenschlichen Beziehungen zutrifft. Anders als das Kindheits-Ich kann das Erwachsenen-Ich Konsequenzen vorher abschätzen und Befriedigungen hinausschieben. Es kann neue Werte festsetzen, die auf einer gründlicheren Untersuchung der historischen, philosophischen und religiösen Wertvorstellungen beruhen. Im Gegensatz zum Eltern-Ich geht es dem Erwachsenen-Ich um die Erhaltung des Individuums statt um die Erhaltung der Institution. Das Erwachsenen-Ich kann sich bewusst zu der Haltung bekennen, dass es wichtig ist zu lieben. Das Erwachsenen-Ich kann in dem Gedanken: «Geben ist seliger denn Nehmen» mehr sehen als einen elterlichen Auftrag.
Mit der «erwachsenen» Art des Gebens hat sich Erich Fromm auseinandergesetzt:
«Das meistverbreitete Missverständnis ist die Annahme, dass Geben so viel bedeutet wie etwas ‹Aufgeben›, auf etwas verzichten,
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