Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
Vom Netzwerk:
es.
    »Wenn meine Eltern wieder leben, werden sie sich unserer annehmen«, sagte Mila und streichelte dem Jungen über die Wange.
    »Ich mag Tatta nicht«, sagte Etti.
    »Halilah, das darfst du nicht sagen!«, schimpfte Mila. »Du musst Vater und Mutter ehren .«
    »Atara …«, flüsterte Schlomo.
    Etti und die anderen Kleinen begannen wieder zu schluchzen.
    Draußen im Flur hörten die Kinder Hannahs Schritte. Sie ging ins Esszimmer, dann wurde es still. Mila drückte das Ohr an die Tür und hielt die Luft an.
    »Atara, bist du noch immer da unten drunter?«, hörten sie Hannah fragen. »Du kannst jetzt rauskommen, die Kinder sind im Bett … Atara?«
    Als keine Antwort kam, begann Etti zu beten: »Zu meiner Rechten Michael, zu meiner Linken Gabriel, vor mir Uriel … Raphael … und über meinem Haupte die Herrlichkeit des Herrn. Michael ist …«
    Hannah saß nur wenige Schritte vom Sofa und Atara entfernt am Esszimmertisch. Ihre müden Augen fielen zu. Das zahnende Baby hatte den ganzen Nachmittag geweint.
    »Atara, dein Vater wollte nur … Hörst du mich?«
    Schweigen.
    Hannah blickte ins aufgeschlagene Buch der Psalmen, doch ihre Lippen flüsterten ein anderes Gebet. Sie flehte den Herrn an, er möge ihres Exils gedenken. Auch sie sei ein Waisenkind, der Herr möge der müden Hannah-Leah gedenken, der Tochter der Zissel-Malka. Und er möge Zalmans gedenken, der in der Lichterstadt Paris so verloren und wütend war, er möge die Kinder vor Versuchungen bewahren …
    »Atara?«
    In der Hoffnung, Ataras Schweigen bedeute Schlaf, knipste Hannah das Licht aus und verließ das Zimmer. Sie wollte die Zeit nutzen, solange das Baby still war, um selbst ins Bett zu sinken.
    Die Tür schloss sich.
    In der von Scham, Schmerz und Zähneklappern erfüllten Dunkelheit unter dem Sofa ging ein Samen auf; ein Samen, der die Kraft von Zalmans gürtelschwingender Hand hatte, eine Reaktion auf das Gebot, das in ihre Gesäßbacken geprägt war wie in zwei Steintafeln: Wenn es Gott etwas ausmachte, dass Atara Stern am Sabbat Fahrrad fuhr, dann machte es Atara Stern nichts aus …
    »Atara! Ich bin’s.« Milas Hand tastete über den Boden unterm Sofa. »Ich bin’s, Mila. Es ist alles gut, bitte, komm raus.«
    Schweigen.
    »Bitte«, wimmerte Mila. »Ich bin’s doch nur.« Mila bückte sich tiefer und schaute in die Dunkelheit unterm Sofa.
    Atara drückte sich noch fester an die Wand. »Geh weg.«
    »Atara …«, rief Mila in Abständen und wartete.
    Schließlich kam Atara unter dem Sofa hervorgekrochen. Im Mondlicht, das übers Parkett fiel, standen sie sich gegenüber und senkten den Blick.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Mila. »Ich bin auch auf Nathalies Fahrrad gefahren, ich habe genauso gesündigt. Aber er wird trotzdem kommen, Atara, der Messias wird kommen, und meine Eltern werden wiederauferstehen, und wir beide werden …«
    »Tote können nicht wieder lebendig werden«, sagte Atara, die jeden Abend dafür gebetet hatte, dass der Messias Milas Eltern wieder zum Leben erwecken möge. Dann trat sie an Mila vorbei, vorbei an Milas Not, hielt die Tränen zurück und marschierte aus dem Zimmer.
    Mila umklammerte die Tischkante. Sie hörte, wie sich Ataras Schritte entfernten.
    » Zu meiner Rechten Michael, zu meiner Linken Gabriel … vor mir Uriel … HaSchem … HaSchem, ich werde nie mehr Fahrrad fahren … auch an den Wochentagen nicht … HaSchem?«
    Ein Schatten huschte über die Fensterscheibe. Mila hielt die Luft an. Stürzte ihr Gebet zurück? War das Zimmer voller Gebete ohne Flügel? Gebete, die sich nicht zum Himmel emporschwingen konnten und durcheinanderpurzelten? Tote Gebete?
    Jetzt, da HaSchem böse auf sie war, sprach Mila ihre Gebete nicht mehr auswendig und flocht auch keine eigenen Worte mehr ein. Leah Bloch hatte ihr erklärt, dass die Rabbiner jeden einzelnen Buchstaben des Gebetbuchs daraufhin überprüft hatten, ob er aufrichtiges Beten fördere; außerdem höre Gott aufmerksamer zu, wenn man auf Hebräisch betete, selbst wenn man selbst nicht jedes einzelne Wort verstand.
    Milas Augen ruhten auf den schwarzen Zeichen, doch ihre Ohren folgten jeder Bewegung Ataras. Die Kleinen rannten im Zimmer herum, machten aber einen Bogen um Mila, um nicht in ihr Haus aus Flüstern einzudringen. Als Mila bei der letzten Zeile des Morgengebets anlangte, hob sie die aufgeschlagene Seite ans Gesicht und küsste das vergeblichene Gebet, das sie im Glauben an die Wiederauferstehung ihrer Eltern bestärkte.
    Tagsüber

Weitere Kostenlose Bücher