Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
Vom Netzwerk:
schwachen … «
    Hannah hörte auf zu singen und drückte den Mädchen fest die Hände, doch Atara entzog sich ihr.
    Hannah umfasste Milas Taille. »Oj, jadidadi, jadidadi, jadidadi, JADIDADIDAM !« Die Dämmerung senkte sich über das Zimmer, und die Königin Sabbat nahm ihren Abschied. Hannah und Mila drehten sich zu dem wehmütigen Rhythmus, zur alten brüchigen Weise, die junge Mädchen aufforderte, die Brüche zusammenzufügen.
    Hannah drehte sich zu Atara um. »Komm, Atarale, tanzen!«
    Atara schob ihren Stuhl zurück und umfasste den Türknauf.
    Warum sangen sie auf die gleiche Art Ich will ein Vögelchen werden, wie sie Ich glaube an das Kommen des Messias sangen? Die Lieder hatten nichts miteinander zu tun. Im Lied vom Vogel ging es um sie, Atara, und ihr Verhältnis zu Hannah, und nicht um ihr Verhältnis zu HaSchem.
    »Atarale!«, rief Hannah noch einmal.
    Atara hockte sich unten an die Tür. Das Lied vom Vögelchen war eine Falle, alle Lieder Hannahs waren Fallen. Sie konnte sich ihren Sabbatzauber schenken, Atara wollte ihn genauso wenig wie Hannahs Erschöpfung an den Wochentagen.
    Springbrunnennymphen und auf Delfinen reitende Putti wurden zu Vertrauten, denen Atara all das anvertraute, was sie Mila nicht mehr erzählen konnte. Ataras Hände streichelten über die Mauern, als könnten die Steine ihre Liebkosungen erwidern; ihre Lippen fuhren flüsternd über Risse und Moose, als könnten diese zurückflüstern. Den glänzenden Steinen vertraute Atara an, dass sie eines Tages den Mut haben würde, Stärke zu zeigen und sich nicht mehr kleiner zu machen, als sie war.
    In den Straßencafés hüpften die Spatzen von den Marmortischen auf den Gehsteig und pickten mit ihren Schnäbeln zwischen den sonnenwarmen Pflastersteinen. Auf dem Weg zu Leah Blochs Sonntagsstunde überquerten Mila und Atara gerade den Kirchplatz, als sie eine laute Stimme hörten. »Und hier die Synagoga.« Neugierig blickten sie sich um. Eine Fremdenführerin deutete mit dem Finger aufs Kirchenportal, auf das verbotene Abbild, die steinerne Jungfrau. Verwirrung zeichnete sich im Gesicht der Mädchen ab.
    »Synagoga steht zur Linken des Vaters, schaut aber von ihm weg. Über ihren Augen liegt eine Schlange und nimmt ihr die Sicht. Ihre Lanze ist zerbrochen, die Gesetzestafel gleitet ihr aus der Hand.«
    Mila und Atara konnten den Blick nicht mehr von der zerknirschten Synagoga wenden. Sie musterten die schmale Marmortaille, das schwere gemeißelte Haar, die hohe Stirn des gesenkten Kopfes. Synagoga – für immer die Verblendete.
    »Und zur Rechten des Vaters«, fuhr die Fremdenführerin fort, »steht die gekrönte Ecclesia. Sie hält das Kreuz des Erlösers hoch und Sein Blut …«
    Das Klicken von Kameras. Die Mädchen gingen weiter, jetzt enger beisammen, weil die mittelalterlichen Gassen in ihrer sonntäglichen Stille plötzlich bedrohlich wirkten.
    Am Abend stand Mila auf dem Bett, das Nachthemd um die Taille gerafft, eine Binde über den Augen. Sie kicherte und ließ langsam ein Buch aus der Hand gleiten. »Hu-hu, wer bin ich?« Mit geröteten Wangen hüpfte sie auf dem Bett auf und ab. »Hu-hu, wer bin ich wohl?«
    Milas Kichern wirkte ansteckend, jetzt kletterte auch Atara aufs Bett und hüpfte mit.
    »Zur Linken des Vaters!«
    »Rechts!«
    »Links!«
    Mila hüpfte noch höher. »Sie hassen mich! Hu-hu, wer bin ich?«

Frühling 1952
    Mila entdeckte Blut zwischen ihren Schenkeln. Hannah beruhigte sie: Es gebe keinen Grund zur Sorge, das Blut sei Evas Strafe dafür, dass sie Adam sterblich gemacht hatte.
    Mila lernte ein neues Gebet: Liebend nehme ich die regelmäßig wiederkehrende Sühne an. Ich hätte die verbotene Frucht nicht …
    Atara wollte sich mit Hannahs Erklärung nicht zufriedengeben. Sie ging in die verbotene öffentliche Bibliothek und kehrte mit einem anderen Grund für Milas Blut und einer Büchertasche voller Geschichten zurück.
    Nur zu gern hätte Atara Hannahs Geschichten den Vorzug gegenüber den verbotenen Büchern eingeräumt. Sie fingen vielversprechend an, mit bunt schillernden jiddischen Wörtern, die Hannah im Alltag nie benutzte, doch immer, wenn das Vögelein gerade zitternd auf einem kahlen Winterast saß oder dem armen Thoragelehrten ein Geist erschien, schlichen sich Gebetsformeln und schließlich HaSchem selbst ein, so dass Atara bald den Eindruck hatte, Hannahs farbensprühende Worte seien nur ein Köder, der zum Wort Gottes führte: Die Bösen wurden bestraft und die Frommen belohnt. An dem

Weitere Kostenlose Bücher