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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Abend, als ihr aufging, dass die lebendigen Wörter immer aus Hannahs Geschichten verschwinden würden, war sie wütend aus dem Zimmer gestürmt.
    Die farbigen Wörter aus den verbotenen Büchern spukten ihr manchmal noch lange, nachdem sie die Geschichte ausgelesen hatte, im Kopf herum. Dann fragte sich Atara, ob sie über einen geheimen Kanal mit der Welt draußen in Verbindung stand.
    Bald las Atara nur noch. Sie las auf dem Weg zur Schule und auf dem Heimweg von der Schule; sie las im Unterricht, das aufgeschlagene Buch unter dem Pult versteckt, und sie las nachts mit der Taschenlampe unter der Bettdecke.
    Im Studierzimmer wiegte sich Zalman im Singsang der von den Vätern ererbten Talmudabhandlungen, während Atara geräuschlos und mit atemloser Eile unter der Bettdecke las. Nur wenn Zalman um Mitternacht die Klage über die zerstörten Tempel anstimmte, zogen seine traurigen Töne die Zeilen aus Ataras Buch. Dann hob sie den Kopf, lauschte dem Klagegesang und wartete auf das schlurfende Geräusch von Zalmans Pantoffeln im Flur. Stille? Die Worte kehrten zurück an ihren Platz und schlugen Atara erneut in ihren Bann.
    Zalmans Talmudfolianten und Ataras Bücher waren wie Nachbarn, die im selben Haus lebten, ohne einander zu kennen. Allerdings durchsuchte Zalman das Mädchenzimmer mittlerweile regelmäßig nach säkularer Literatur. »Ich werde keinen Spinoza aufziehen, nicht unter meinem Dach«, schrie er, wenn er fündig wurde, und zerriss die Bücher.
    Doch Atara fand immer Mittel und Wege. Sie schob die verbotenen Bücher unter den Bund ihrer weißen Unterhose, kletterte auf den hölzernen Toilettensitz und versteckte sie auf dem äußeren Sims des hohen, schmalen Fensters.
    Hannah konnte Ataras Lektüre nicht kontrollieren. Sie war viel zu sehr mit den kleineren Kindern beschäftigt, außerdem war sie ständig müde, weil sie wieder einmal schwanger war.
    Mila starrte auf den geisterhaften Daunenhügel in Ataras Bett. Noch im letzten Jahr hatten sich die Mädchen gemeinsam mit Leah Bloch über ihre schlechten Noten im belanglosen Fach Literatur lustig gemacht, doch jetzt konnte die Literaturlehrerin auf Atara zählen. Zaghaft versuchte Mila, Atara daran zu erinnern, dass die Bücher verboten waren, doch Atara erwiderte nur giftig, dass es auch im Judentum so etwas wie das Recht auf einen freien Willen gebe. Und Ataras freier Wille wollte Bücher lesen.
    Leah Bloch beruhigte Mila: In Ataras Büchern gehe es nur um Unterhaltung, man müsse sie nicht weiter ernst nehmen. Wer verbotenen Begierden nachgebe, werde bald Verzweiflung und ein Gefühl von Leere empfinden, nicht umsonst sei die säkulare Welt voll von geistig kranken Menschen. Mila nahm sich vor, für Atara da zu sein und sie zu retten, falls sie niedergeschlagen und einsam werden würde.
    Sie saß neben dem leuchtenden Daunenhügel und betete: »Zu meiner Rechten Michael, zu meiner Linken Gabriel, vor mir …«
    Mit vierzehn entdeckte Atara die Bibliothèque Sainte-Geneviève. Es war, als hätte sie schon immer gewusst, dass es diesen Ort gab und dass man ihr dort Eintritt gewähren würde. In der Stille des großen Lesesaals, in dem Milchglasbirnen unter grünen Lampenschirmen helle Lichtellipsen auf raschelnde Seiten warfen, las sie sich durch die moderne Literatur. Sie ging nach keinem bestimmten System vor: Den einen Tag fiel ihr Notre-Dame-des-Fleurs in die Hände, am nächsten war es Das Sein und das Nichts. Verstand sie Worte oder Begriffe nicht, legte sie das Buch keinesfalls weg, denn umso rätselhafter die Formulierungen, umso größer die Verheißung von Freiheit. Wenn sie die Bibliothek dann verließ, spannten sich Perlenschnüre von Dach zu Dach und von Giebel zu Giebel. Sie bildeten ein leuchtendes Netz, unter dem alle Menschen gleichermaßen auserwählt waren.
    Atara lungerte vor der Sorbonne herum, schaute in den mit Pflastersteinen ausgelegten Hof. Die Glocke der Kapelle läutete. Rennend bahnte sie sich einen Weg durch die Menschenmassen auf dem Boulevard Saint-Michel und dann über die Seinebrücke, immer schneller lief sie, um zu Hause zu sein, bevor Zalman ihre Abwesenheit bemerkte.

1955
    Als Mila vom Baccalauréat zu reden begann, dem Abschluss, der ihnen die Türen der Universitäten öffnen würde, nahm Zalman die Mädchen von der Schule. Mila und Atara sollten Hannah im Haushalt helfen, bis sie alt genug waren, um zu heiraten. Mila war sechzehn und Atara fünfzehn.
    Hannah jedoch erinnerte sich daran, wie begeistert Leah Bloch

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