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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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goldenen Borte von Milas Kopftuch spiegelte, und erlaubte sich die Erinnerung an seine erste Mutter, an ihre Umarmungen und Küsse. »Gut Schabbes, klejner Jiddele!« Dieses Mal brach ihm die Erinnerung nicht das Herz.
    In ihrem Buch der Tage zählte Mila fünf Tage Blutung und sieben reine Tage. An den sieben reinen Tagen trug sie weiße Unterwäsche und schlief auf weißen Laken. Morgens und abends führte sie wie vorgeschrieben ein weißes Stoffstück in sich ein, holte es zurück und untersuchte es. Fand sie nur einen roten Punkt, musste sie den Stoff oder die betreffende Unterwäsche mit der Stunde und dem Tag der Zählung auszeichnen: Ein blutroter Fleck war nicht mit blassrot oder braun zu verwechseln; nur ein Rabbi konnte feststellen, ob der Farbton eine noch längere Absonderung nötig machte.
    Mila hielt die Vorschriften zur Familienreinheit sehr gewissenhaft ein. Sie sollten das Verlangen kontrollieren, die Fruchtbarkeit erhöhen und sicherstellen, dass die Kinder mit unbefleckten Seelen zur Welt kamen.
    Am siebten reinen Tag begab sie sich nach Sonnenuntergang zum rituellen Bad in die Mikwe. Sie reinigte ihre Zähne mit einem Seidenfaden, feilte sich die Nägel, seifte sich ein und wusch sich gründlich. Die Badefrau würde überprüfen, ob sich auch keine hatzitza (Hemmnisse), einzelne Haare etwa oder Schmutzreste, zwischen dem rituellen Wasser und der Haut befanden.
    Mila stieg die Stufen in das kleine, rechteckige Becken hinab. Es war mit natürlichem Wasser gefüllt, das mittels Schwerkraft ins Becken gelangte und nicht gepumpt werden durfte. Sie breitete die Arme aus, schloss Augen und Mund, ohne sie krampfhaft zusammenzupressen, und ließ sich hinabsinken.
    »Koscher!«, erklärte die Badefrau, als Milas Kopf wieder aus dem Wasser auftauchte.
    Mila verschränkte die Arme unterhalb ihres Herzens, um die höheren und niederen Regionen zu trennen, flüsterte den Segensspruch zum Untertauchen und ließ sich noch zwei weitere Male hinabsinken.
    »Koscher! Koscher!«
    Mila nahm ihren Bademantel. Sie fühlte sich rein, weiß und stolz, eine jüdische Frau zu sein, die von den Rabbinern als koscher bezeichnet werden konnte. Tränen der Dankbarkeit liefen ihr übers Gesicht. HaSchem hatte sie geleitet und ihr geholfen, den Versuchungen von Paris zu widerstehen.
    Wie von den Rabbinern empfohlen, zog sie farbige Unterwäsche an, damit ihr an den erlaubten Tagen keine kleineren Unregelmäßigkeiten auffielen. Auf dem Heimweg beschleunigte sie ihre Schritte, um die Wahrscheinlichkeit zu verringern, dass ihr ein unreines Tier, ein Unwissender oder ein Nichtjude über den Weg liefen – jede Form von Begegnung, die ihre Chance gefährdete, einen Thoraschüler zu empfangen.
    Daheim legte sie sich vor dem dreiflügeligen Spiegel im Schlafzimmer die Seidenstola um, die perlweiß und lavendelblau im Lampenlicht schimmerte. Sie war das Zeichen, mit dem sie Josef wissen ließ, dass sie erlaubt war. In der Stille des Raums glaubte sie ihre Eltern zu hören, die dafür beteten, dass sie in den Generationen, die Josef und Mila hervorbringen würden, weiterlebten.
    Josef stand am Fußende von Milas Bett und wartete auf das leise Rascheln der Daunen, wenn Mila die Decke an einer Ecke leicht anheben würde. Endlich roch er den zarten Duft von Anémone des bois auf ihrer Haut. Möge unsere Vereinigung … Ihre Schenkel unter ihm, jetzt öffneten sie sich … unseren Kindern heilige Seelen gewähren …
    Dieses Mal trennten sie sich nicht sofort; nur nach dam betulim, dem Hymen-Blut, mussten Braut und Bräutigam sofort auseinandergehen. Jetzt durften sie bis zur nächsten Menstruation das Bett teilen – falls die nächste Menstruation kam.
    Sie lagen in der Dunkelheit, dicht beieinander. Bis zu diesem Moment war alles durch Vorschriften geregelt, doch jetzt durften sie einfach nebeneinanderliegen und sich völlig frei und ungebunden vom Gesetz fühlen. Mila schmiegte sich an Josef. In der Nacht fühlte sich sein Bart wie Seide an, wie der Bart ihres Vaters unter dem Gebetsschal, wie ihr Vater, der flüsterte »Blimela, meine Blimela …«
    In den folgenden beiden Wochen lief Mila zur Haustür, sobald sie Josefs Schritte im Flur hörte. Einmal stimmte sie schüchtern ein Lied an; seit sie zwölf war, hatte sie nicht mehr vor einem erwachsenen Mann gesungen. Doch Josef war ihr Ehemann, deshalb war es erlaubt.
    » Ojfn weg, schtejt a bojm – kennst du den Text nicht? Sing mir nach: Aj, Mama, ich will ein Vöglein sein … «

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