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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Dann forderte sie ihn zum Tanz auf . »Jadijadidam!« Mit einer Hand hielt sie das Ende der Stola hoch, die andere Hand kreiste über ihrem Kopf. Sie drehte sich in den hochhackigen Pariser Schuhen, zu denen sie manchmal die passende Pariser Handtasche trug, die sie jetzt im Takt der Melodie wie ein Tamburin von der einen Seite der Taille zur anderen schwenkte. »Jadijadidam!« Josefs Herz schlug schneller. In den hohen Schuhen wirkten Milas Fesseln so zart, ihre Waden so schmal und lang …
    »Josef! Komm, tanzen!«
    Er liebte es, wie sie zwischen Ernsthaftigkeit und Koketterie wechselte, und noch mehr liebte er ihren singenden Tonfall, den leichten ungarischen Akzent. Er stampfte los. Ihre Augen strahlten, als sie sich anblickten und zwischen Esstisch und Sofa ihrer winzigen Wohnung tanzten.
    In den Nächten der Absonderung lagen sie in den nebeneinanderstehenden Betten und redeten. Josef erzählte Mila, wie das Schiff nach Amerika gnadenlos weitergestampft war und die unabgeschlossenen Abschiede hinter ihm zurückblieben. »Ich wollte umkehren, um zu erklären … Ja, was wollte ich eigentlich erklären? Ich war aus dem Dickicht getreten, ich hatte mit dem Juden gesprochen. Jeden Morgen stand ich an Deck und habe mir die Gischt von den Wimpern gewischt. Reb Halberstamm hat mich wieder zurück in die Kabine geholt, ans aufgeschlagene Buch. Deshalb war ich für meine Bar Mizwa bereit. Selbst als das Schiff in den Hafen von New York einlief und alle Passagiere an Deck standen, um die Freiheitsstatue näher kommen zu sehen, saßen wir in der Kabine und haben meine Haftara geübt. Als wir an Land gingen, hat mich Reb Halberstamm angewiesen, weder nach rechts noch nach links zu schauen: ›Was gibt es in der trejfne medine , im unkoscheren Land der Moderne, schon zu sehen?‹ Aber ich habe natürlich geschaut …« Josef wurde still. Er erzählte Mila nicht, dass sein Herz einen Sprung gemacht hatte, als sie auf der Autofahrt von der Schiffsanlegestelle ins chassidische Williamsburg an einer Straßenecke an einem Kreuz vorbeigekommen waren. Seine Hand war in die Tasche gefahren, in der die Postkarte steckte, die er Florina schicken wollte, sobald er die Felder Amerikas gepflügt hatte und sie nachholen konnte.
    Nach einer Weile erzählte er weiter. »In Williamsburg führte mich Reb Halberstamm an halb geöffneten Türen vorbei, hinter denen Jungen Worte skandierten, an die ich mich fast noch erinnerte: Und Gott sprach zu Mose … Ich sah jüdische Jungen, die eifrig die Hände hochreckten und ungeduldig auf ihren Plätzen herumrutschten, weil sie unbedingt die Frage des Lehrers beantworten wollten. Jüdische Jungen, die keine Angst davor hatten, sich mit ihrem Wissen in der Klasse hervorzutun. Im Gottesdienst haben mir Männer in die Backe gekniffen. ›Du stammst aus einem guten Geschlecht, Josef, Sohn des Jekutiel, Sohn des Mendel Wolf.‹ Die Männer glaubten zu wissen, wer ich bin, sie glaubten, es sei etwas Gutes, Josef Lichtenstein, Sohn des Jekutiel, Sohn des Mendel Wolf und Großneffe des Rebbe Elimelech zu sein …
    Ich war es nicht gewohnt, mit so vielen Jungen zusammen zu sein, Jungen, die wie Juden gekleidet waren … Ich kämpfte mit meiner Kippa, hatte Mühe damit, den ganzen Tag im Haus zu sein. Ich machte lange Spaziergänge. Mir fehlten die Obstgärten, die Gänse, der Geruch von frisch gepflügter Erde. Und mir fehlte …«
    »Florina? Hat dir Florina gefehlt?«
    Wieder trat eine lange Pause ein, bis Josef weitersprach. »Eines Tages ging ich die Lee Avenue entlang, und plötzlich begriff ich, dass der jüdische Junge, der mir in den Schaufenstern folgte, ich selbst war. Ich war der Junge mit den Schläfenlocken, der jede meiner Bewegungen nachmachte. An dem Tag habe ich im Gottesdienst laut mit den anderen Männern mitgesungen. Wie alle anderen habe ich dafür gebetet, dass meine Verstorbenen auferstehen mögen, dass sie unversehrt auferstehen. Und ich habe auch für die Verstorbenen von Mila Heller gebetet.«
    »Du hast damals an mich gedacht, Josef?«
    »Schreibst du Florina? Warum schreibst du ihr nicht?«, fragte Mila an einem anderen Abend der Absonderung.
    »Weil ich für sie verloren bin.«
    »Aber sicher würde sie trotzdem gern von dir hören.«
    »Sie würde von Anghel hören wollen, nicht von Josef.«
    »Sie wird verstehen, dass du zu deinem Volk zurückgehen musstest.«
    Josef antwortete nicht. Er sah Florina im Nebel des Flusses Nadăş stehen und die Hände nach dem Jungen mit den

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