Ich bin verboten
Was ist verboten?«
»Du. Mir.«
Sie erhob sich von der Couch. »Wie lange? Wie lange bin ich assur? «
Er antwortete nicht. Ein Junge, der von Geburt an immer nur in Williamsburg gelebt hätte, wäre längst zu den Rabbinern gegangen.
»Für immer assur ?«, fragte sie. Er schwieg. »Was du da sagst, ist grausam.«
»Was ich sage? Das Gesetz sagt es.«
»Welches Gesetz?«
»Das Gesetz, nach dem wir verheiratet sind! Du bist mir geheiligt nach dem Gesetz von Moses und dem Volk Israel .«
»Ich war immer treu, Josef. Denk nur an Thamar, an Ruth … Der Messias selbst wird aus ihrer Blutlinie kommen. Schau mich an …« Sie blickte ihm fest in die Augen – »Ich war dir und unserem Gesetz treu. Ich war vor Enaim. Nem mir, habe ich gesagt. Josef, ich bin schwanger. Wir haben so lange darauf gewartet. Schwanger, Josef!«
Seine tonlose Stimme. Aschfahl. »Ich … ich muss mich scheiden lassen.«
»Alles, was uns gefehlt hat, war ein Kind!«
»Ein Kind, dieses Kind …«
»Dieses Kind?«
»Wenn es geboren wird …«
» Wenn es geboren wird!« Ihre Stimme stieg donnernd aus der Brust auf.
Er trat zurück.
Sie trat vor. » Wenn es geboren wird!«
Er stürzte zur Haustür und stolperte die fünf Stufen hinunter.
Swisch. Mila schlug die Augen auf. Swisch, swisch. Schärfte Zalman mitten in der Nacht seine Ritualmesser? Swisch. Sie setzte sich auf. Nein, sie war nicht in Paris. Sie stieg aus dem Bett und öffnete die Tür zum Badezimmer. Josefs Rücken war von Striemen übersät. In der Hand hielt er einen Gürtel.
Er drehte sich um und erblickte sie in der Tür. Ihr Mund stand offen. »Maimonides hat die rabbinischen Höfe angewiesen, Priester auszupeitschen, die nicht mit Jungfrauen verheiratet sind …«
»Du bist kein Priester. Du hast eine Jungfrau geheiratet.«
»Mila, wir sind doch gläubig. Das Kind …«
So wie ihm die richtigen Worte gefehlt hatten, Mila von seiner Unfruchtbarkeit in Kenntnis zu setzen, suchte er jetzt nach Worten, mit denen er ihr sagen konnte, dass es dem Kind für alle Zeiten verboten sein würde, in die Gemeinde des Herrn zu kommen. Er fand die Worte nicht und griff stattdessen nach seinem Mantel. Wieder einmal hastete er die Treppe hinab.
Doch der Herr hatte die Worte gefunden, und der Herr sah. Bei ihnen daheim wachte er darüber, ob Josef sich seiner verbotenen Frau näherte; im Lehrhaus zählte der Herr mit, wie viele Tage Josef zögerte. Er zählte die Tage und Stunden, die Josef abwartete, bevor er sich an die Rabbiner wandte.
Wenn bewiesen ist, dass die Frau aus freiem Willen Ehebruch begangen hat, ist sie ihrem Ehemann verboten. Das Gesetz erlaubt dem Ehemann nicht, die Strafe zu mildern. Der Mensch kann nicht billigen, was Gott verbietet. Nicht nur der Ehemann ist beleidigt worden, sondern auch Gott.
Die Angst, die Josef früher wie ein Knoten im Magen gesessen hatte, kehrte zurück. Im Halbschatten des Lehrhauses hatte er allmählich Vertrauen gefasst und gelernt, dass das Wort Jude keine Bedrohung sein musste, doch jetzt war das Lehrhaus selbst eine Bedrohung wie die wirbelnden Haken der Kreuze auf den Armbinden der Milizionäre. Nur, dass sie Josef jetzt tief im Innneren zerrissen.
Josef kam mehrere Abende hintereinander nicht nach Hause.
Mila übergab sich ins Waschbecken, dann spülte sie ihren Mund aus. Ihre Brüste kribbelten, und sie lächelte dem ungeborenen Kind zu. Wenn es ein Mädchen war, würde sie es Rachel nennen, in Gedenken an ihre Mutter, Rachel Landau. Und wenn es ein Junge war, würde sie ihn nach ihrem Vater Gershon nennen, Gershon Heller …
Josef tauchte wie aus dem Nichts auf. »Vielleicht war er kein Jude? Wenn er kein Jude war, dann ist das Kind … nur das Kind eines Juden … eines Juden und …« – Schweißperlen standen ihm auf der Stirn – »eines Juden und einer jüdischen Frau, die mit einem anderen verheiratet ist …«
»Du verstehst mich nicht, Josef. Es gibt Präzedenzfälle …«
»In dem Fall wäre das Kind … hätte das Kind den Status …«
Mila stand kerzengerade da. »Mein Baby ein Status? Ja, der Same war zufällig jüdisch, aber das war nicht …«
»Jüdisch!«
Ihre Augen weiteten sich. »Macht es das noch schlimmer für dich?«
Er flüchtete.
In jener Nacht träumte Mila nicht ihren langen Traum vom eigenen Kind, sondern von klagenden Frauen mit Kopftuch, die sich gegen die Brust schlugen: »Über viele Generationen hinweg haben wir reines und sittliches jüdisches Blut weitergegeben, und dann kommt
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