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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Rachel ihren Freundinnen an, auf deren Geschwister aufzupassen. Josef überlegte, ob sie sich dann vorstellte, es seien ihre eigenen, glücklich in die Gemeinde hineingeborenen Kinder, und es brach ihm das Herz.
    »Dein Vater ist komisch«, hörte Rachel von ihren Freundinnen. »Er weint, wenn er dich ansieht.«
    »Sie weinen doch alle, wenn sie Kinder sehen«, erwiderte Rachel dann. »Das ist typisch für ihre Generation.«
    »Aber sein Weinen ist anders«, beharrten die Freundinnen.
    Rachel jedoch nahm Josefs Schmerz nicht wahr und bezog ihn erst recht nicht auf sich. Stattdessen schrieb sie das Weinen der Inbrunst seiner Gebete zu, seiner Sehnsucht und Melancholie, seiner übergroßen Sorge um sie, seinen Schweigephasen. Hatten nicht alle, die aus der alten Heimat kamen, diese Dunkelheit in sich, vor der es kein Entrinnen gab? Eine Dunkelheit, die aus der Zeit des Kriegs gegen die Juden stammte, über den sie nie sprachen?
    *
    Die siebzehnjährige Rachel kam aus der Schule heim und erzählte, welche Freude an diesem Morgen in der Klasse geherrscht habe. Der Unterricht sei ausgefallen, sie hätten Tische und Bänke an den Wänden gestapelt, und dann hätten alle Mädchen gesungen und getanzt. Schließlich sei die Erste von ihnen, die sich verlobt hatte, auf einem Stuhl hochgehoben worden. »Ihr hättet sie schreien hören sollen, als der Stuhl beinahe umgekippt wäre! Kennst du diesen Schritt, Mama?« Rachel zog ihre Mutter ins Wohnzimmer; eine echte Tochter Israels schämt sich, vor den Augen des Vaters zu tanzen.
    Josef hörte, wie Mutter und Tochter zwischen Couch und Tisch den neuen Schritt ausprobierten. Mit gesenktem Kopf lauschte er ihrem Lachen.
    Was tue ich? Was habe ich getan?
    Das Telefon klingelte jetzt öfter bei den Lichtensteins. So eine vollkommene Tochter, und dann noch hübsch wie die Mutter und hochgewachsen wie der Vater …
    »Meine Rachel ist doch gerade erst siebzehn geworden!«, protestierte Mila.
    »Willst du warten, bis alle guten Jungen vergeben sind?«
    Josefs altem Lehrer Halberstamm war zu Ohren gekommen, wie fromm und aufgeweckt Rachel war. Eines Tages rief auch er an. »Gepriesen sei der Herr, eure Tochter ist erwachsen geworden. Ich will gleich zur Sache kommen, Josef. Du weißt, dass mein jüngster Sohn …«
    Der Sohn der Halberstamms sollte weiterhin im Lehrhaus sitzen und studieren – es wäre eine Schande, wenn ein so guter Kopf arbeiten müsste, um Geld zu verdienen. Für ein begabtes Mädchen wie Rachel wäre es sicher kein Problem, eine Arbeit zu finden, zum Beispiel als Kindergärtnerin oder Grundschullehrerin. Später, wenn die Arbeit in Konflikt mit der Kindererziehung geriet, würde Gott schon für sie sorgen.
    Bei ihrem ersten Treffen saßen sich die siebzehnjährige Rachel Lichtenstein und der achtzehnjährige Shai Yankel Halberstamm am Esstisch gegenüber. Was Rachel denn lieber sei, ein Mann, der sich auf weltlichen Erfolg konzentrierte, oder ein Mann, der die Thora studierte? Natürlich der Thoragelehrte. Wo Rachel am liebsten wohnen würde? Natürlich hier in Williamsburg, in der Nähe ihrer Mutter und ihres Vaters. Ob sie sich vorstellen könne, ein Jahr in der Nähe seiner Jeschiwa zu leben, nachdem sie …
    Er meinte, nachdem sie geheiratet hätten.
    Sie blickten auf die bestickte Tischdecke und erröteten.
    Am Ende des Abends waren die beiden verlobt.
    Josef begann, jeden Wochentag zu fasten, nicht nur an den Tagen der Trauer über den zerstörten Tempel.
    Er quälte sich so sehr, dass Mila in Erwägung zog, einen rabbinischen Gerichtshof anzurufen, um dort ihre Unschuld vor Enaim zu beweisen. Wer wusste besser als der Herr, dass die Mutter Seinen Namen auf den Lippen hatte, als sie empfing. Rachel war so rein wie König David, der Herr liebte Rachel. Ein Gerichtshof würde Mila von aller Schuld freisprechen. Dann würde Josef wieder essen, er würde wieder vor ihrem Bett stehen …
    Doch Richter machten Fehler. Die Richter hätten Thamar verbrannt und die Blutslinie von König David ausgelöscht, hätte nicht Juda gesagt: Sie ist gerechter als ich.
    Doch wer würde vortreten und Rachel retten, wenn die Richter in diesem Fall irrten? Außerdem, was sollte ein Gerichtsurteil schon bringen? Welcher Mann aus Williamsburg würde Rachel noch heiraten, wenn auch nur der Hauch eines Zweifels an ihrem Status bestünde?
    Mila suchte keinen rabbinischen Gerichtshof auf.
    *
    Der Rebbe persönlich tanzte auf der Hochzeit dieser Braut, dem Kind zweier geretteter Waisen; er

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