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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Zufall. Sie war ein Zeichen. Gott schickte ihnen Zalman Stern, damit er sie ein letztes Mal rettete.
    Er würde zum Rebbe gehen.
    Oder vielleicht direkt mit Zalman sprechen.
    Josef dachte an sein ältestes Enkelkind Judith. Als Fünfjährige hatte sie immer die Nase in seinen Gebetsschal gesteckt, weil sie »den Geruch von Heiligkeit« so mochte. Später hatte sie die goldenen Prägebuchstaben auf Josefs Talmud gestreichelt und erklärt, sie wolle einmal eine »Frau von Wert« werden und ihren Mann beim Thorastudium unterstützen. Sie wollte wissen, ob sie ihrer Namenspatin, Josefs Mutter, ähnlich sähe, und erkundigte sich in der Gemeinde nach einem Rezept für Walnussbrötchen, und zwar nicht die Sorte, wie sie in Kolozsvár, Szatmár oder Temesvár gebacken worden waren, sondern nach dem Rezept aus Maramureş, dem Geburtsort ihres Großvaters Josef. Und wie das Mädchen gestrahlt hatte, als Josef sagte, Judiths Brötchen dufteten nach der alten Heimat.
    Vielleicht nicht mit Zalman …
    Rachel, er würde mit Rachel sprechen. Rachel besaß die Kraft, die ihm immer gefehlt hatte … Rachel würde zum Rebbe gehen, auf der Stelle würde sie das tun.
    Rachel sollte entscheiden, schließlich waren es ihre Kinder.
    Er würde mit Rachel sprechen.
    Komm, mein unschuldiges Lamm, ja, so würde er anfangen, wie ein Vater, der sein Kind segnet … Möge der Herr dir erlauben, wie die Mütter in Israel zu sein, wie Sarah, Rebekka, Rachel. Dreimal würde er sie segnen, und dann würde er mit Rachel sprechen, die sie dazu erzogen hatten, nach dem Gesetz des Herrn zu leben. Und Rachel würde zum Rebbe gehen.
    Er sah Rachels Kinder vor sich, wie sie, nachdem er gesprochen hatte, draußen vor der Synagoge kauerten und sich an ihre Mutter schmiegten. Er sah Rachel, die ihr Gesicht vor Scham verdeckte. Sein Blick ging zur Zimmerdecke hoch.
    Du behauptest, das Menschenopfer zu scheuen, doch um Vergebung bitten wir im Namen des väterlichen Messers an der Kehle des Sohns.
    Er senkte den Kopf.
    Ja, ich werde mit Rachel sprechen.
    Wie Isaak auf dem Altar, der darum bat, fest angebunden zu werden, damit er der Angst vor dem Messer standhalte, wird unsere Rachel das Gebot des Herrn erfüllen. So haben wir sie erzogen.
    Im Opfer küssen sich Mensch und Gott.
    Ewiger, ihr Hals blutet bereits …
    Gab es kein Gebüsch, keinen Widder? Keinen Engel, der das Messer zur Seite schlägt?
    Eine Fliege summte über seinem Kopf. Josef schaute nach rechts und nach links; er hörte die Fliege, doch er sah sie nicht. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Sein Atem ging leise: ein, aus, ein … Er sah kaum noch den Tisch vor sich.
    Herr, ich habe Dich gehört. Ja, ich werde mit Rachel reden. Hast du eine leichte Schwangerschaft?, so werde ich das Gespräch beginnen. Und die Kinder? Wie geht es den Kindern? Ich werde ihr sagen … bevor Rachel sich von uns abwendet, werde ich ihr sagen, mir sei aufgefallen, dass sie neuerdings dasselbe Parfum benutzt wie ihre Mutter. Ich werde ihr von den wilden Anemonen in Maramureş erzählen … Wohlgerüche erfreuen den Herrn, auf dem Goldenen Altar brannte ständig Weihrauch.
    Ja, Herr, ich werde mit Rachel reden.
    Josef schloss die Augen und sah Rachel vor sich, sah, wie sie die Enkelkinder nahm, diese quirligen, lachenden Wesen, sah sie mit den Kindern zur Haustür gehen. »Rachel! Rachel!«, rief er, doch Rachel blickte nicht zurück. Sie bog um die Ecke und verschwand, verschwand für immer. »Rachel, du musst dich um meine Mila kümmern!«, krächzte Josef.
    Mila kam herbeigeeilt.
    »Josef, was ist? Um wen soll ich mich kümmern?«
    »Milenka? Ach, du bist’s. Ob wir Rachel vom Land zurückrufen? Mir ist nicht gut, ich muss sie sehen.« Josef deutete auf die Rücken der Talmudfolianten. »Bitte bring mir den dort … und den …«
    Jedes Mal, wenn ein Band dumpf auf den Schreibtisch schlug, zitterte er am ganzen dünnen Leib.
    Josef blätterte durch die Talmudseiten, die er nicht mehr lesen konnte. Er blätterte und blätterte.
    Als Mila wieder ins Zimmer kam, sah sie ihn über einen Band gebeugt, den er verkehrt herum hielt. »Siehst du nichts? Kannst du gar nichts mehr sehen?«
    Josef bat um die Holzbuchstaben, mit denen er Rachel und ihren Kindern das alef-beth beigebracht hatte. Mit den Fingern fuhr er die geprägten Oberflächen nach, wühlte durch die Buchstaben, bis er gefunden hatte, was er suchte. Als er die Hände hob, lag vor ihm:
    יננה
    Hineni, hier bin ich – Abrahams Antwort auf Gottes

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