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Ich bin verboten

Ich bin verboten

Titel: Ich bin verboten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anouk Markovits
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Fragen sind sinnlos, denn was in der Thora geschrieben steht, wird sich niemals ändern. Es ist unmöglich. Ich fühle mich so allein, so verloren … Als ich klein war, hat unsere Kindergartenlehrerin uns einmal gefragt, was wir werden wollen, wenn wir groß sind. ›Feuerwehrmann‹, hat ein Mädchen gerufen, ›mit einem roten Löschwagen!‹ Da hat die Lehrerin böse geschaut, Feuerwehrmann war ganz eindeutig die falsche Antwort. Dann hat sie mich angeblickt. ›Judith, was willst du denn werden?‹ Ich wusste nicht, welche Antwort erwartet wurde. ›Mutter?‹, fragte ich. Die Lehrerin küsste mich lächelnd, und die anderen Mädchen riefen: ›Mutter! Ich will auch Mutter werden!‹ Und seither wusste ich … bis heute wusste ich …«
    Judiths glatter weißer Hals pulsierte, als sie schluckte.
    »Was ist passiert, als du vom Land zurückgekommen bist?«, fragte Atara.
    Judith hielt sich die Hand vor den Mund, als wollte sie die Worte unterdrücken.
    Atara wartete.
    Stockend begann Judith zu sprechen. »Vor der Bäckerei Heimishe auf der Lee ist mir mein Yoel über den Weg gelaufen. Wir sind nicht stehen geblieben, um zu reden, denn es passt nicht, doch als sich unsere Wege kreuzten, hat er … habe ich … wir haben gelächelt, wir konnten nicht anders, und ich habe meine Einkaufstüte an mich gedrückt, als könnte Yoel die Tiara und den Brautschleier in ihr sehen. Ich habe an der Ecke gewartet, bis ich nicht mehr so rot im Gesicht war, dann bin ich in die Clymer Street gebogen, doch Großmama Mila stand nicht winkend im Erkerfenster, obwohl sie alles genau mit Mama abgesprochen hatte. Sie wusste sogar, mit welchem Bus ich kommen und an welcher Haltestelle ich um Viertel vor fünf aussteigen würde. Also habe ich geklingelt. Niemand hat aufgemacht. In Großvater Josefs Studierzimmer war der Vorhang zugezogen – a mehereih refiheh sheleimeh far mein sejde Josef (schnelle und gute Besserung für meinen Großvater Josef), Amen. Der Vorhang war zugezogen, obwohl Großvater doch das Gefühl von Licht so mag, selbst wenn er es nicht mehr sehen kann. ›Babe? Sejde?‹ Es war so still. Ich bin durch die kleine Gasse zur Rückseite des Hauses gegangen. ›Babe? Sejde?‹ Auch dort war alles still. Gott bewahre, ist Sejde tot? Ich bin wieder vors Haus gerannt, die Eingangstreppe hoch und habe am Türknauf gedreht – die Tür sprang auf. Großmutter Milas Gebetsbuch lag aufgeschlagen oben auf dem Sekretär. Etwas stimmte nicht. Ich habe die Seite geküsst, das Buch geschlossen und seinen Umschlag geküsst. Das Esszimmer war aufgeräumt und leer. Ich wollte gerade dem Geruch von Medizin folgen und zum Studierzimmer gehen, als ich hörte, wie sich etwas in der Küche bewegte. Gottenju (Gott helfe), Großmama Mila lag inmitten zerbrochener Teller und einer ausgelaufenen Milchtüte auf dem Küchenfußboden. Sofort bin ich zu ihr gerannt, um ihr aufzuhelfen, doch Großmama hat die Knie an die Brust gezogen, ihre Perücke war verrutscht. Einen Moment lang dachte ich, sie würde mich nicht erkennen. ›Ich bin’s, Judith!‹ HaSchem jerachem (Herr, erbarme Dich), ihre Schenkel waren nicht züchtig vom Rock bedeckt. ›Babe, hörst du mich?‹ Sie hat meinen Unterarm umklammert, sich mit der anderen Hand auf dem Boden abgestützt und sich hochgezogen. Dabei ist ein Notizbuch aus ihrem Schoß in die vergossene Milch gefallen. Ich wollte mich bücken, um es aufzuheben, aber Babe hat so lange an meinem Arm gerissen, bis ich es fallen gelassen habe. Da lag es wieder in der Milch. ›Ist das Rachel?‹, hörte ich Großvater Josefs schwache Stimme hinter der verschlossenen Tür des Studierzimmers. Großmama Mila legte einen Finger vor die Lippen. ›Psst, wir wollen ihm nicht sagen, dass du da bist, er braucht Ruhe‹, sagte sie und hastete in den Flur. Ein Milchtropfen zerlief auf der offenen Notizbuchseite und verwischte ein Wort, das Wort unter … ich konnte nicht anders, ich habe das Notizbuch genommen und es auf die Küchenanrichte gelegt, die feuchten Seiten mit Küchenpapier abgetupft und die Ecken mit dem Salz- und dem Pfefferstreuer beschwert, damit das Buch offen blieb und schneller trocknen konnte. Erst dann habe ich die Tüte mit der Tiara und dem Schleier abgestellt, die Scherben zusammengefegt und die Milch aufgewischt. Es war so still im Haus. Ich war zum ersten Mal ohne eines meiner jüngeren Geschwister bei Sejde und Babe. Eine Seite aus dem Notizbuch wölbte und wellte sich, ich habe sie wieder glatt

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