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Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Ich bleib so scheiße, wie ich bin

Titel: Ich bleib so scheiße, wie ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Niazi-Shahabi
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nicht mehr ohne schlechtes Gewissen am Strand herumliegen können. Alles, was uns Spaß macht und angenehm ist, scheint einen schlechten Beigeschmack zu haben: Langes Schlafen macht depressiv. Ein schönes, heißes Bad schadet der Haut, und außerdem verwöhnt es den Kreislauf. Eine eiskalte Dusche um sechs Uhr morgens dagegen erfrischt und hält gesund. Eine Fernsehsendung verdummt, ein Buch bildet. Wer rastet, rostet, wer nicht ein Leben lang lernt, bekommt Alzheimer. Wer zu viel nascht, wird dick und bekommt dann keinen Partner.
    Sich immerfort zu fordern und zu bilden, ist längst kein privates Folterprogramm mehr, es ist inzwischen Staatsdoktrin geworden. Der Staat, der uns die persönliche Weiterentwicklung durch seine schützende Hand ermöglichen sollte, scheint nun auf unserer Selbstentfaltung zu bestehen. Der vom Arbeitsamt finanzierte Fortbildungsmarkt explodiert. Milliarden werden für sinnlose Bewerbungs- und Umschulungskurse verpulvert. Wer sich weigert, dem werden die Bezüge gekürzt. Bildungsferne wird öffentlich gegeißelt und mehr oder minder erfolgreich bekämpft.
    All das tut unser Staat nicht, weil er es gut mit uns meint. Weil er möchte, dass seine Bürger einander Bach-Suiten auf dem Cello vorspielen oder sich wieder lange Briefe auf Französisch schreiben und mit schönen und gesunden Körpern durch die Straßen gehen. Er hofft vielmehr, unsere Verwertbarkeit für den Arbeitsmarkt zu erhöhen. Aber da das Problem struktureller Art ist, es also auf Deutsch gesagt nicht genug Arbeitsplätze für alle gibt, kann das Problem nicht durch Fortbildung behoben werden.
    Der Staat kann dieses strukturelle Problem nicht lösen und schiebt uns mit der Mär von der ewigen Fortbildung die Verantwortung für unsere Verwendbarkeit selbst zu. Genauso gut kann man Kindern erzählen, wenn sie brav sind, würde morgen die Sonne scheinen. Nicht umsonst ist das EU-Bildungsprogramm Lebenslanges Lernen heftig kritisiert worden.
»Lebenslanges Lernen« ist die Legitimation von Ausgrenzung. Wer es nicht schafft, sich permanent anzupassen, oder nicht dazu bereit ist, ist selbst schuld.
Erich Ribolits
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    Die »Du-schaffst-es«- und »Auch-du-kannst-deinen-Beitrag-leisten«-Ermutigungskultur ist allgegenwärtig. Die Sprüche, mit denen man zu Höchstleistungen angehalten werden soll, finden sich auf Werbeplakaten, in Kalendern und sogar auf Anzeigen von Bundesministerien. Sie werden auf facebook gepostet und auf Kleidungsstücke gedruckt. Selten werden sie von irgendjemandem in Frage gestellt. Lesen Sie die folgende Auswahl an motivierenden Aussagen, und achten Sie dabei darauf, was während der Lektüre in Ihnen vorgeht:
    – Du musst es nur wollen.
    – Nur die Harten kommen in den Garten.
    – Die Zukunft gehört den wenigen, die bereit sind, ihre Hände schmutzig zu machen.
    – Ever tried? Ever failed? No matter. Try again. Fail again. fail better.
    – Our greatest glory is not in ever falling but in rising every time we fall.
    – Worrying is like a rocking chair, it gives you something to do but doesn’t get you anywhere.
    – The happiest people don’t have the best of everything, they just make the best of everything.
    – Things are only impossible until they are not.
    – Failure is simply the opportunity to begin again. This time more intelligently.
    – Nicht alles ist möglich – aber es ist mehr möglich, als du denkst!
    – Alle sagten: Das geht nicht. Dann kam einer, der wusste das nicht und hat’s gemacht.
    – Just do it.
    – Don’t be a maybe.
    Spüren Sie, wie etwas in Ihnen gegen so viel Leistungsbereitschaft und Optimismus rebelliert? Dann ist es gut. Beschleicht Sie dagegen der Gedanke, dass Sie mehr leisten sollten, dann ist höchste Vorsicht geboten. Zahlreiche Untersuchungen aus den letzten zwei Jahrzehnten beweisen: Wenn Muße die Schwester der Freiheit ist, wie Aristoteles es ausdrückt, dann ist Depression der Bruder des Leistungswahns.
EIN WETTLAUF, DEN SIE NICHT GEWINNEN KÖNNEN
    Was alles in das Leben eines erfolgreichen, urbanen Großstadtbewohners passen soll, wird uns von der Hauptfigur des Films Drei von Tom Tykwer (2010), nämlich dem Stammzellenforscher Adam Born vorgeführt. Adam Born ist ein richtiger Tausendsassa, der nichts auslässt, was heutzutage zu einem erfüllten Leben dazu gehört. Als erfolgreicher Wissenschaftler hat er erstaunlicherweise noch Zeit für zahlreiche coole Hobbys: So geht er jeden Sonntag mit Freunden in den Berliner Mauerpark zum

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