Ich bleib so scheiße, wie ich bin
entgegengesetzten Ende der Rennstrecke liegen. Zum Beispiel ehrgeizig wie ein Spitzensportler und dabei gelassen wie ein Zen-Mönch zu sein. Es gibt sogar Menschen, die meditieren, um den Geldfluss wieder in Gang zu bringen. Genauso paradox: Sehr selbstkritisch zu sein und sich gleichzeitig so zu akzeptieren, wie man ist. Das eine schließt das andere aus, das muss eigentlich jedem klar sein. Und selbst durch gesündeste Ernährung und viel Sport ist es nicht möglich, auf ewig jung und sexy zu bleiben.
Es ist eine Fiktion, das uns allen innewohnende Gefühl der Unzulänglichkeit durch individuelles Höherstreben besiegen zu können. Es ist wie im Wettlauf vom Hasen und dem Igel: Ganz gleich, wie weit ich komme, meine Minderwertigkeitskomplexe in Form des Igels werden immer rufen: »Ich bin schon da.«
Erich Fromm stellte bereits in den Sechzigerjahren fest: »Jeder Einzelne baut sein Selbstwertgefühl auf seiner sozio-ökonomischen Rolle auf. Sein Körper, sein Geist und seine Seele sind sein Kapital, und seine Lebensaufgabe besteht darin, diese vorteilhaft zu investieren, einen Profit aus sich zu ziehen.«
Nichts wird einfach »nur so« getan, oder weil es sich ergibt, alles muss »bewusst« gestaltet werden. Aus jeder Erfahrung wird gelernt, und jedes Gefühl wird reflektiert. Alles, was uns passiert und was wir darüber fühlen und denken, muss ausgewertet und verwertet werden. Denn Glück und Erfolg sind – so der neue alte Aberglaube – der Beweis, ob wir zu den Guten gehören.
Zufriedenheit ist das neue Statussymbol.
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Von diesem Aberglauben lebt eine ganze Industrie. Experten, die uns angeblich erklären, wie wir schöner, beliebter, schlagfertiger, verführerischer und glücklicher werden. Kein Problem, zu dem sich nicht schon irgendjemand literarisch geäußert hätte. Die Autoren klären uns darüber auf, dass in dem Augenblick, in dem wir für unsere Situation Verantwortung übernehmen, der erste Schritt zur Veränderung getan sei. Andersherum ausgedrückt: Sobald wir die Schuld für unser Unwohlsein, unsere Unzufriedenheit und Einsamkeit nicht mehr auf Familie, Freunde oder die Verhältnisse schieben, nehmen wir unser Leben in die Hand. Die angeblich positive Nachricht lautet: Wir können uns verbessern, wenn wir nur wollen!
Lesen Sie folgende Aussagen nacheinander durch, ohne lange darüber nachzudenken.
– Haben Sie keinen Partner, lieben Sie sich nicht genügend selbst.
– Wenn Sie schon länger keine Arbeit haben, sollten Sie über Ihre Einstellung zum Erfolg nachdenken.
– Sie haben alle Möglichkeiten, es liegt nur an Ihnen, was Sie daraus machen.
– Sie selbst sind verantwortlich für Ihre Gefühle und Stimmungen. Wenn Sie beschließen, glücklich zu sein, kann Sie niemand daran hindern.
– Schlechte Gefühle ziehen Schlechtes an, gute Gefühle dagegen ziehen positive Erlebnisse in Ihr Leben.
– Nur Sie selbst können sich helfen.
– Sie können sich verändern, wenn Sie zu Veränderung innerlich bereit sind.
– Gute Gefühle machen gesund und lassen einen das Körperglück erleben – schlechte Gefühle dagegen können krank machen. (Klappentext Bestseller)
– Wenn man etwas wirklich will, kann man es auch erreichen.
– Jeder Tag ist ein neuer Anfang und bietet die Möglichkeit, das Beste aus ihm zu machen.
Kreuzen Sie jetzt auf folgender Skala an, wie glücklich Sie sich gerade fühlen:
Wer sich nach der Lektüre dieser Weisheiten nicht froh und glücklich fühlt, muss sich keine Sorgen machen. Was nämlich in Ratgebern und Motivationsschriften als Hoffnung verkauft wird, ist in Wirklichkeit eine Anleitung zum Depressivwerden: Nun sind wir und niemand anderes schuld, wenn wir mutlos, traurig und enttäuscht sind. Wenn wir keine Arbeit und keinen geeigneten Partner finden, krank werden, einen Unfall haben oder auf einer Behörde gedemütigt werden.
Ängstlich beobachten wir uns, jede Unzufriedenheit wird als persönliches Versagen gewertet, jedes unangenehme Erlebnis als eigene Schwäche interpretiert (kein Wunder, dass mir das passiert ist, ich ziehe das irgendwie an . . .). Wer uns abweist und schlecht behandelt, wenn wir seinen Zuspruch brauchen, dem geben wir auch noch recht: Ich sollte mich mal fragen, was mein Anteil an der ganzen Sache ist, und lieber eine Therapie machen als meinen Frust bei Freunden abzuladen, usw.
Der amerikanische Psychologe Martin Seligman, spricht sogar von »Selbstwert-Obsession«: »Selbsthilfeliteratur und eine Reihe von
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