Ich bleib so scheiße, wie ich bin
Partnersuche wird zur Schnäppchenjagd: Jeder will mehr, als ihm zusteht.
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Nach zwanzig oder dreißig abgecheckten Kandidaten wird sich schwerlich Romantik einstellen. Wer zwanzig Dates hinter sich hat, in denen er nüchtern die Vor- und Nachteile des Zusammenlebens mit seinem Gegenüber abgewogen hat, kann sich nicht mehr verlieben.
Man verstellt sich auf diese Weise den Blick auf die Einzigartigkeit eines Menschen und lässt keinen Platz für die Schönheit des Nebenbei: Verlieben hat etwas mit Überraschung zu tun; eine besondere Begegnung ist eine Begegnung, die sich unerwartet und ganz von allein ergibt, die mich herausreißt aus meinem Trott und meinen vorgefertigten Überzeugungen.
Mit meiner Liebesbeziehung will ich mich selbst verwirklichen. Mein Partner soll mir das ermöglichen, was ich mir unter einem erfolgreichem Leben vorstelle: Er oder sie muss gut aussehen und einen tollen Beruf haben und etwas darstellen, mit mir nach Paris reisen, mir schöne Gefühle und eine Traumhochzeit bescheren und obendrein eine Eigentumswohnung als Absicherung fürs Alter sein eigen nennen. Diese Person sollte außerdem gleich alt und Nichtraucher sein, in derselben Stadt wohnen, die gleichen politischen Ansichten haben und sich für ähnliche Dinge interessieren. Denn nur das garantiere eine glückliche, stabile Beziehung. So geben wir alles, was wir uns wünschen, in unser Flirtprofil ein, als könnte man sich seinen Traumpartner im Internet bestellen.
In dieser virtuellen Welt behandelt jeder die jeweils anderen so, als sei er oder sie für die Erfüllung der eigenen Wünsche zuständig. Das aber ist keine romantische Liebe, das ist ein knallhartes Geschäft. Eigentlich ist gegen dieses Geschäft nichts einzuwenden, vor allem dann nicht, wenn zwei Handelspartner sich einig würden und beide mit dem Abschluss einigermaßen zufrieden wären. Aber Tatsache ist, dass niemand mehr mit niemandem zufrieden ist, weil er oder sie seinen Partner ständig mit einem potenziellen besseren Partner vergleicht. So zerstört der Terror der Selbstverwirklichung unsere Beziehungen.
WARUM HABEN ALLE JEMANDEN,
NUR ICH NICHT?
Die meisten Menschen gehen davon aus, dass mit ihrer Selbstverbesserung ihre Chancen auf dem Beziehungsmarkt steigen. Kaum einer wagt den Gedanken, dass man auch zu schön und zu klug sein könnte, um bei der Partnersuche erfolgreich zu sein. Dabei braucht man sich nur umzusehen, um festzustellen, dass dieser Gedanke gar nicht so abwegig ist.
Männer, die so aussehen wie auf der Hugo-Boss-Werbung, sind selten. Viel häufiger trifft man auf Männer, denen man auf den ersten Blick ansieht, wie langweilig und humorlos sie sind. In praktische Funktionskleidung gewandet und mit schlechter Haltung sitzen sie neben einem im Café oder am Schreibtisch gegenüber im Büro. Sie sind nicht schön, nicht klug, nicht unfreundlich. Keine Stunde mag man mit ihnen verbringen, geschweige denn das ganze Leben. Plötzlich klingelt ihr Telefon, ihre Frau ist dran und will wissen, wer heute Nachmittag die Kinder abholt.
Natürlich haben alle diese Männer Frau und Kinder, nur wie machen sie das, fragt man sich, während man am Abend die Tür zur Wohnung aufschließt, wo niemand auf einen wartet. Diese Männer werden drei- bis viermal am Tag von ihrer Familie angerufen, man möchte über jeden Schritt, den sie tun, unterrichtet sein, man rechnet mit ihnen am Abend und am Wochenende. Kommen sie eine Stunde zu spät, werden sie schon vermisst. Man selbst dagegen könnte in der Wohnung tot umkippen, und es würden Tage, wenn nicht Wochen, vergehen, bis das jemandem auffällt.
Bei Frauen ist es ähnlich. Es herrscht einige Aufregung am Morgen in der Teeküche im Büro. Die vollschlanke Chefsekretärin ist umringt von Kolleginnen. Mit gerötetem Gesicht erzählt sie, dass ihr Freund sie gestern Abend mit einem riesigen Rosenstrauß überrascht und um ihre Hand angehalten hat. Die Kolleginnen gratulieren, man macht sich seinen Milchkaffee und schleicht sich aus der Küche. Was hat man falsch gemacht, überlegt man den ganzen Vormittag. Es muss ein Geheimnis geben, das diese Frauen kennen, welches einem verborgen geblieben ist, denn anders kann man sich die Welt nicht mehr erklären. Obwohl man ungefähr zwanzig Kilogramm leichter ist als die Sekretärin und wahrscheinlich auch zehnmal unterhaltsamer, hat man noch nie einen ernsthaften Heiratsantrag bekommen. Man ist selbstverständlich nicht neidisch auf die Beziehungen der anderen, das
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