Ich bleib so scheiße, wie ich bin
statistisch gesehen in stabileren Beziehungen, denn sie sind sich sehr wohl darüber im Klaren, dass sie es schwerer haben als andere, einen neuen Partner zu finden. Da überlegen sie es sich zweimal, ob sie sich trennen und zu »neuen, spannenden Ufern« aufbrechen. Berufliche und geistige Unabhängigkeit dagegen macht wählerisch.
Wenn ich aber weiß, dass ich nicht in der Position bin, an dem, was mir zuteil wird, auch noch herumzumosern, dann weiß ich, was zu tun ist: aus dem, was da ist, das Beste zu machen. Schon bin ich beziehungsfähig.
Das Geheimnis einer langen Ehe ist,
sich nicht scheiden zu lassen.
Marcel Reich-Ranicki
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Die Freiheit der Wahl ist einer Liebesbeziehung offensichtlich nicht zuträglich. In dem Roman über das Leben des rauchenden und zweifelnden Triester Kaufmanns Zeno Cosini von Italo Svevo stellt sich am Ende heraus, dass das Einzige, was ihm in seinem Leben glückte, die Beziehung zu seiner Frau Agathe war. Mit ihr, stellt er eines Nachmittags erstaunt fest, während sie gemeinsam im Garten sitzen, ist er zeit seines Lebens zufrieden gewesen – so zufrieden, wie es ihm eben möglich war. Natürlich hat er die, die so gut zu ihm passte, nicht gewollt. Nicht Liebe stand am Anfang ihrer Beziehung, sondern ein Missverständnis.
Agathe hinkt und ist nie besonders schön gewesen. Sie ist die älteste von vier Schwestern, und Zeno Cosini hatte sich vor vierzig Jahren nicht für sie, sondern für die schönste und jüngste der Schwestern interessiert. Fast jeden Abend machte er damals der Familie seine Aufwartung, da er aber nicht aufdringlich sein wollte, unterhielt er sich mit der jüngsten Schwester nur wenig, dafür mehr mit der ältesten Tochter, der hinkenden Agathe.
Irgendwann nahm ihn der Vater der Mädchen beiseite und meinte, dass Zeno Agathe langsam kompromittiere, und so kam es zu der Hochzeit von Agathe und Zeno Cosini.
Agathe, die heimliche Hauptfigur des Buches, weiß genau, wie ihre Ehe zustande kam, aber sie nimmt es Zeno nicht übel. Ohne ihn wäre sie allein geblieben, und das wäre allemal schlechter gewesen. Ihr stilles Selbstbewusstsein, ihre Souveränität, speist sich nicht aus Äußerlichkeiten, sondern aus ihrem Wissen um die Begrenztheit der Menschen. Daher ist Agathe das Beste, was Zeno Cosini passieren konnte, und Zeno ist das Beste, was ihr passieren konnte. Von allen vier Schwestern führt Agathe die glücklichste Ehe. Ohne etwas Besonderes dafür zu tun.
Eine Liebesbeziehung ist eben eine sehr unwahrscheinliche Sache, so beschreibt es der Soziologe Niklas Luhmann in seinem bekanntesten Werk Liebe als Passion . Kaum ein Mensch lebt gern allein. Wenn er sich aber, wie es seit dem 18. Jahrhundert die Idee ist, vorher verlieben muss, bevor er eine Bindung eingeht, wird eine sehr unwahrscheinliche Bedingung an den Beginn einer Partnerschaft gestellt.
In einer Beziehung soll heute also eine Notwendigkeit – nämlich mit anderen Menschen zusammenzuleben – mit einer Unwahrscheinlichkeit – nämlich sich in einen Menschen zu verlieben, der sich gleichzeitig in einen verliebt – in Übereinstimmung gebracht werden. Und diese Liebe soll dann auch noch ein Leben lang halten. Alles andere wirkt mit diesem Anspruch wie ein Kompromiss oder wie ein Provisorium. Als säße man mit seinem jeweiligen Lebensabschnittsgefährten in einer Wartehalle und wartete darauf, dass der Zug, der einen zur wahren Liebe bringt, in den Bahnhof einfährt. Und während man wartet, hofft man darauf, dass der Zug, der für einen selbst bestimmt ist, eher kommt als der des Partners. Denn natürlich möchte man nicht der auf dem Bahnsteig Zurückgelassene sein, der – so wird es in den Liebesratgebern angemahnt – noch großzügig sein und freudig winken muss, wenn der Partner zuerst einsteigen darf.
Liebende sind keine Freunde,
sie sind Konkurrenten.
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Dieser Widerspruch steht hinter unser aller Beziehungsunfähigkeit, und heimlich sehnen sich nicht wenige nach einem Leben im Kloster oder in Zweckgemeinschaften mancher Urvölker, wo kein Mensch auch nur einen Gedanken daran verschwendet, die lebenserhaltende Gruppe zu verlassen.
Seitdem es die Idee der Liebe gibt, fühlt man sich schuldig, wenn man nicht liebt. Ich fühle mich als Versager, wenn ich mir eines Tages eingestehen muss, dass ich meinen Partner schon lange nicht mehr liebe, sondern nur noch mit ihm zusammen bin, weil ich die mit einer Partnerschaft verbundenen Privilegien nicht aufgeben will. Weil ich nicht, wie
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