Ich bleib so scheiße, wie ich bin
geht inzwischen anders: Nicht äußere Hindernisse stehen zwischen den Liebenden, keine Standesunterschiede und Tabus müssen überwunden werden, damit Mann und Frau, Mann und Mann oder Frau und Frau zueinander finden können. Die Hindernisse in und an uns selbst sind es, die abgearbeitet werden müssen. In der Therapie und im Fitnesscenter versuchen wir uns zu normieren und das schlechte und unglückliche Ich loszuwerden, das unserer erfolgreichen Partnersuche im Wege steht. Wir versuchen, uns eine gesellschaftliche Stellung zu erarbeiten, um attraktiv für andere zu werden und auf diese Weise einen entsprechenden Gegenwert einfordern zu können.
Wir geben uns auch nicht wie im 18. Jahrhundert unseren Gefühlen hin, sondern bemühen uns, sie unter unsere Kontrolle zu bekommen. Denn nur starke, unabhängige Menschen, die Verantwortung für ihre Gefühle übernehmen, haben eine Chance auf eine Beziehung mit einem ernst zu nehmenden Partner.
Die moderne Liebesgeschichte ist eine Geschichte der mühsam erkämpften Anpassung.
Wenn die Leute wüssten, was Romantik ist, würden sie sich nicht danach sehnen.
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In einer großen, deutschen Wochenzeitschrift wurden Paare vorgestellt, die von sich sagen, dass sie eine funktionierende Liebesbeziehung führen. Dort fand ich ein junges, modernes Paar, das davon überzeugt ist, alles richtig zu machen:
Mann und Frau haben jeweils ihre eigene Firma, beide arbeiten viel. Ihre Arbeit macht ihnen Spaß, und sie haben Erfolg. Außerdem haben sie zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Um sowohl die beruflichen als auch die familiären Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen, hat dieses Paar Regeln aufgestellt: Wer viel schaffen will, muss eben gut organisiert sein. Am Montag kommt er früher von der Arbeit, damit sie zum Sport gehen kann. Am Dienstag ist es umgekehrt. Mittwochabend haben die beiden die Zeit ohne Kinder für sich reserviert, damit sie sich auch als Paar wahrnehmen und nicht nur als Eltern. Darauf freue sie sich, so die Frau im Interview, immer riesig. Am Donnerstag arbeitet sie länger und holt Versäumtes vom Anfang der Woche nach. Am Freitag bleibt sie zu Hause und arbeitet vom Home-Office aus und erledigt kleinere Hausarbeiten. Der Samstag ist für Unternehmungen mit Freunden reserviert, und am Sonntag ist der Tag, an dem die ganze Familie zusammen ist. Wichtig ist beiden, dass trotz Kindern und Karriere die Erotik und der Sex nicht zu kurz kommen, der Sonntagabend gehört daher nur wieder ihnen, das haben die Kinder inzwischen gelernt. Meinungsverschiedenheiten werden im respektvollen Gespräch gelöst, in dem jeder die Zeit bekommt, seine Argumente darzulegen.
So klingen Liebesgeschichten heute. Es braucht der optimalen Ausnutzung des Terminkalenders, um endlich eines Romeos, beziehungsweise einer Julia würdig zu sein. In so einer Liebe werden nicht vor Wut die Türen geknallt und die Kinder verdroschen – man trainiert den Stress im Fitnesscenter ab. Da säuft keiner am Mittwochabend vor dem Fernsehapparat und sagt, dass er keine Lust hat auf die »Quality Time« zu zweit. Da rufen die Freunde nicht unpassenderweise am Dienstag an. Die Angelegenheit zwischen Romeo und Julia ist ein Erfolg auf ganzer Linie, das heißt, es passt alles zusammen, die Liebe, der Job, die Figur.
Der Partner soll uns nicht von der Gesellschaft trennen und unsere Loyalität und unsere Bereitschaft zum Verzicht auf die Probe stellen. Er soll unseren Stand in der Gesellschaft festigen und uns in den Augen der anderen aufwerten. Schließlich investieren wir in uns, und dafür können wir auch etwas verlangen.
Und je mehr wir an uns arbeiten, desto mehr wachsen unsere Ansprüche. Je schöner, klüger und toller ich bin, desto schwerer wird es für mich, einen Partner zu finden, mit dem ich zufrieden sein kann. Dazu kommt, dass durch das Internet die Illusion der unendlichen Auswahl entstanden ist. Nun will ich sicher sein, dass ich auf dem Sex- und Beziehungsmarkt wirklich das bekomme, was meinem »Marktwert« entspricht. Wie Spekulanten versuchen Liebessuchende in Partnerbörsen den besten Partner zu ersteigern. Ihr Ehrgeiz ist es, jemanden zu finden, der einen Hauch mehr zu bieten hat, als ihnen zusteht. Man will ein Schnäppchen machen, und so prüft und vergleicht man, pokert und hält warm, und hat man endlich einige Kandidaten in die engere Wahl gezogen, wird man den Verdacht nicht los, dass sich hinter dem nächsten Profil doch noch etwas Besseres verbirgt.
Die
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