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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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nächsten nicht mehr, als wäre alles wieder weg. Aber Sie machen trotzdem Fortschritte. Alles in allem erinnern Sie sich an mehr als früher.«
    Ich fragte mich, ob diese Beobachtung noch immer stimmte. In den ersten Tagebucheinträgen hatte ich von Erinnerungen an meine Kindheit geschrieben, an meine Eltern, an eine Party mit meiner besten Freundin. Ich hatte meinen Mann gesehen, als wir jung waren und frisch verliebt, mich selbst, wie ich einen Roman schrieb. Doch seitdem? In letzter Zeit scheine ich nur noch den Sohn zu sehen, den ich verloren habe, und den brutalen Angriff, dem ich meinen Zustand verdanke. Dinge, die ich vielleicht besser vergessen sollte.
    »Sie haben gesagt, dass Ben Sie beunruhigt. Was gibt er als Erklärung für Ihre Amnesie an?«
    Ich schluckte. Was ich gestern geschrieben hatte schien weit weg zu sein, fremd. Fast fiktiv. Ein Autounfall. Gewalt in einem Hotelzimmer. Keines von beidem schien irgendetwas mit mir zu tun zu haben. Dennoch blieb mir keine andere Wahl, als zu glauben, dass ich die Wahrheit geschrieben hatte. Dass Bens Erklärung für meinen Zustand wirklich gelogen war.
    »Erzählen Sie …«, sagte er.
    Ich erzählte ihm, was ich geschrieben hatte, zuerst von Bens Unfall-Version und dann von meiner Erinnerung an das Hotelzimmer, erwähnte jedoch weder, dass ich Letztere beim Sex mit Ben gehabt hatte, noch, dass auch so romantische Dinge wie Blumen, Kerzen und Champagner darin vorgekommen waren.
    Ich beobachtete ihn, während ich sprach. Er murmelte zwischendurch eine Aufmunterung oder kratzte sich am Kinn, und einmal kniff er die Augen zusammen, aber eher nachdenklich als überrascht.
    »Sie wussten das alles, nicht wahr?«, sagte ich, als ich fertig war. »Sie wussten das alles bereits?«
    Er stellte seinen Becher ab. »Nicht alles, nein. Ich wusste, dass Ihre Probleme nicht durch einen Autounfall verursacht wurden, aber dass Ben Ihnen das erzählt hat, weiß ich erst, seit ich neulich Ihr Tagebuch gelesen habe. Ich wusste auch, dass Sie in einem Hotel gewesen sein müssen an dem Abend, als Sie … als Sie Ihr Gedächtnis verloren. Aber die anderen Einzelheiten, die Sie erwähnt haben, sind neu. Und soweit ich weiß, ist es das erste Mal, dass Sie sich wirklich von allein an etwas erinnern. Das ist großartig, Christine.«
    Großartig?
Ich fragte mich, ob er meinte, dass ich mich darüber freuen sollte. »Dann stimmt es also?«, sagte ich. »Es war kein Autounfall?«
    Er zögerte, sagte dann: »Nein. Nein, Sie hatten keinen Unfall.«
    »Aber warum haben Sie mir nicht gesagt, dass Ben mich anlügt? Als Sie mein Tagebuch gelesen haben? Warum haben Sie mir nicht die Wahrheit gesagt?«
    »Weil Ben seine Gründe haben muss«, erwiderte er. »Und ich fand es irgendwie nicht richtig, Ihnen zu sagen, dass er lügt. Nicht in der Situation.«
    »Dann haben Sie mich also auch belogen?«
    »Nein«, sagte er. »Ich habe Sie nie belogen. Ich habe nie behauptet, dass es ein Autounfall war.«
    Ich dachte an das, was ich heute Morgen gelesen hatte. »Aber neulich«, sagte ich. »In Ihrer Praxis. Da haben wir doch darüber gesprochen …« Er schüttelte den Kopf.
    »Ich habe nichts von einem Unfall gesagt«, widersprach er. »Sie haben gesagt, Ben hätte Ihnen erzählt, wie es passiert ist, daher dachte ich, Sie wüssten die Wahrheit. Bedenken Sie, dass ich zu diesem Zeitpunkt Ihr Tagebuch noch nicht gelesen hatte. Ich glaube, wir haben uns da einfach missverstanden …«
    Ich konnte mir vorstellen, wie es dazu gekommen war. Wir hatten beide um ein Thema herumgeredet, das wir nicht beim Namen nennen wollten.
    »Also, was ist wirklich passiert?«, fragte ich. »In dem Hotelzimmer? Was habe ich da gemacht?«
    »Ich weiß nicht alles«, sagte er.
    »Dann erzählen Sie mir, was Sie wissen«, sagte ich. Die Worte kamen wütend heraus, doch es war zu spät, um sie zurückzunehmen. Ich sah, wie er sich einen nicht vorhandenen Krümel von der Hose wischte.
    »Sind Sie sicher, dass Sie es wissen wollen?«, sagte er. Ich spürte, dass er mir eine letzte Chance anbot.
Du kannst noch zurück
, schien er zu sagen.
Du kannst mit deinem Leben weitermachen, ohne zu wissen, was ich dir gleich erzählen werde
.
    Aber da täuschte er sich. Das konnte ich nicht. Ohne die Wahrheit lebe ich nicht mal ein halbes Leben.
    »Ja«, sagte ich.
    Seine Stimme war langsam. Stockend. Er fing Sätze an, um sie nach ein paar Worten abzubrechen. Die Geschichte war eine Spirale, als umkreise sie etwas Entsetzliches, etwas,

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