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Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Ich. Darf. Nicht. Schlafen.

Titel: Ich. Darf. Nicht. Schlafen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. J. Watson
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wieder. »Diese neue Erinnerung – haben Sie die in Ihr Tagebuch geschrieben? Sie müssen sie unbedingt aufschreiben.«
    »Okay«, sagte ich. »Aber –«
    Er fiel mir ins Wort. »Wir unterhalten uns dann morgen. Ich ruf Sie an. Auf dieser Nummer. Versprochen.«
    Erleichterung, vermischt mit irgendetwas anderem. Etwas Unerwartetem. Schwer Definierbarem. Glück? Freude?
    Nein. Es war mehr als das. Teils Nervosität, teils Gewissheit, durchdrungen mit dem winzigen Kitzel zukünftiger Lust. Ich spüre es noch, während ich dies hier schreibe, gut eine Stunde später, aber jetzt weiß ich, was es ist. Etwas, von dem ich nicht weiß, ob ich es je zuvor empfunden habe. Vorfreude.
    Aber Vorfreude auf was? Dass er mir sagen wird, was ich wissen muss, dass er mir bestätigen wird, dass meine Erinnerungen langsam und stockend zurückkommen, dass meine Behandlung erste Erfolge zeigt? Oder ist es mehr? Ich denke daran, wie ich mich gefühlt haben muss, als er mich in der Tiefgarage berührte, was ich mir dabei gedacht haben muss, nicht ans Telefon zu gehen, als mein Mann anrief. Vielleicht ist die Wahrheit einfacher. Ich freue mich darauf, mit ihm zu reden.
    »Ja«, habe ich erwidert, als er sagte, er würde mich anrufen. »Ja. Bitte.« Doch da hatte er bereits aufgelegt. Ich dachte an die Frauenstimme, begriff, dass die beiden im Bett gelegen hatten.
    Ich verdränge den Gedanken. Ihm nachzugehen hieße, dass ich vollends verrückt werde.

Montag, 19. November
    Das Café war gut besucht. Eines von einer Kette. Alles war grün oder braun oder wegwerfbar, aber immerhin umweltfreundlich, wie Plakate an den stofftapezierten Wänden behaupteten. Ich saß tief in einen Sessel versunken und trank meinen Kaffee aus einem Pappbecher, der beängstigend groß war, während Dr. Nash es sich mir gegenüber bequem machte.
    Zum ersten Mal hatte ich Gelegenheit, ihn mir richtig anzusehen; genauer gesagt, zum ersten Mal heute, was auf das Gleiche hinausläuft. Er hatte mich auf dem aufklappbaren Handy angerufen, kurz nachdem ich den Frühstückstisch abgeräumt hatte, und mich dann etwa eine Stunde später abgeholt, nachdem ich den größten Teil meines Tagebuchs gelesen hatte. Auf der Fahrt zu dem Café starrte ich zum Fenster hinaus. Ich war durcheinander. Entsetzlich durcheinander. Als ich heute Morgen aufgewacht war, hatte ich gewusst – obwohl ich mir nicht mal meines eigenen Namens sicher war –, dass ich eine erwachsene Frau und Mutter war, obgleich ich keine Ahnung hatte, dass ich auf die fünfzig zuging und mein Sohn tot war. Bislang war mein Tag schrecklich verwirrend gewesen, ein Schock nach dem anderen – der Badezimmerspiegel, das Album und später dann dieses Tagebuch –, bis hin zu der Erkenntnis, dass ich meinem Mann nicht traue. Und ich hatte davor zurückgeschreckt, noch mehr genauer unter die Lupe zu nehmen.
    Jetzt jedoch sah ich, dass Dr. Nash jünger war, als ich gedacht hatte, und obwohl ich geschrieben hatte, er müsse nicht auf seine Linie achten, sah ich jetzt, dass er nicht so schlank war, wie ich vermutet hatte. Er wirkte kompakt, was durch das zu große Sakko noch verstärkt wurde, das ihm von den Schultern hing und aus dem seine erstaunlich stark behaarten Unterarme gelegentlich herausragten.
    »Wie fühlen Sie sich heute?«, fragte er, sobald er saß.
    Ich zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht genau. Durcheinander, würde ich sagen.«
    Er nickte. »Erzählen Sie.«
    Ich schob den Keks weg, den Dr. Nash mir ungebeten gegeben hatte. »Also, als ich heute wach wurde, wusste ich irgendwie, dass ich erwachsen bin. Ich wusste nicht, dass ich verheiratet bin, aber ich war auch nicht direkt überrascht, dass ein Mann neben mir im Bett lag.«
    »Das ist gut, auch wenn –«, setzte er an.
    Ich fiel ihm ins Wort. »Aber gestern hab ich geschrieben, dass ich beim Aufwachen wusste, dass ich einen Mann habe …«
    »Dann führen Sie nach wie vor Tagebuch?«, fragte er, und ich nickte. »Haben Sie es dabei?«
    Ich hatte es dabei. Es war in meiner Handtasche. Aber ich hatte auch Dinge darin geschrieben, die er nicht lesen sollte, die niemand lesen sollte. Persönliche Dinge. Meine Vergangenheit. Die einzige Vergangenheit, die ich habe.
    Dinge, die ich über ihn geschrieben hatte.
    »Ich hab’s vergessen«, log ich. Ich konnte nicht sagen, ob er enttäuscht war.
    »Okay«, sagte er. »Ist nicht schlimm. Ich kann mir vorstellen, dass es frustrierend sein muss, sich an einem Tag an etwas erinnern zu können und am

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