Ich darf nicht vergessen
hättest.
Manchmal ist es besser, etwas loszulassen, sagst du.
Noch nicht, sagte sie. Noch haben wir es nicht aufgegeben.
Haben Sie schon mal an Adoption gedacht?, hast du gefragt und sofort gewünscht, du könntest deine Worte zurücknehmen. Bestimmt hatten sie darüber nachgedacht. Das war vollkommen naheliegend. Und dann bist du tatsächlich errötet. Aber entweder hat sie es nicht bemerkt, oder es hat ihr nichts ausgemacht.
Nein. Ich brauche mehr Kontrolle, sagte sie.
Das ist eine merkwürdige Einstellung, hast du geantwortet. Du fingst an, dich für die Frau zu interessieren.
Ich brauche Kontrolle, sagte Amanda.
Aber wenn Sie ein Neugeborenes bekommen könnten, hätten Sie dann nicht genug Kontrolle?, hast du sie gefragt. Du warst neugierig zu erfahren, was sie darauf sagen würde. Bist ein bisschen von einem Fuà auf den anderen getreten. Das Kind in deinem Bauch strampelte so heftig, dass dein Bauch ganz komische Beulen bekam.
Dann hätten Sie das Kind von Anfang an, hast du den Faden wieder aufgegriffen. In manchen Fällen gestattet man den Adoptiveltern sogar, bei der Geburt dabei zu sein, so dass sie die Ersten sind, die das Kind sieht.
Das wäre mir trotzdem nicht genug, sagte Amanda.
Nicht genug?
Nicht genug Kontrolle. Das würde es erleichtern, eine Beziehung aufzubauen, aber was ist mit den Genen? In der Hinsicht müsste ich mich immer noch auf ein Lotteriespiel einlassen.
Aber Sie sind doch Lehrerin. Sie wissen doch, wie unterschiedlich Geschwister sein können, obwohl sie dieselben Eltern haben, dieselbe Erziehung und dieselbe Ernährung genieÃen.
Ja, sagte Amanda. Dennoch muss man die Gewissheit haben, dass der Nachwuchs von einem selbst abstammt, egal, wie er sich entwickelt. Sonst läuft man Gefahr, dass sich andere Gefühle für das Kind einschleichen.
Was denn für Gefühle?
Verachtung. Geringschätzung. Oder ganz einfach Ablehnung.
Moment mal. Wollen Sie damit sagen, man kann ein Kind lieben, das unangenehme Züge oder Verhaltensweisen entwickelt, solange man sich sicher ist, dass es die eigenen Gene besitzt. Wenn man diese Gewissheit dagegen nicht hatâ¦
⦠wer weiÃ, was man dann dem Kind gegenüber empfindet?, beendete Amanda die Frage für dich.
Wie ein Körper, der eine Spenderniere abstöÃt.
Genau. Und da man das erst nach der Transplantation erfährt, warum das Risiko eingehen?
Weil der Mensch Nieren braucht. Und Sie sagen, Sie brauchen ein Kind.
Stimmt, sagte sie. Und die Art, wie sie das sagte, überzeugte dich von ihrer Entschlossenheit.
Es ergab keinen Sinn, dachtest du. Aber Sie haben die Hälfte der Chromosomen auÃer Acht gelassen. Was ist mit den Genen des Vaters? Die entziehen sich doch auch Ihrer Kontrolle.
Mit Peters Genen und allen Eigenschaften, die darin ihren Ursprung hätten, könnte ich umgehen, sagte sie. Das kam dir äuÃerst seltsam vor. Damals konntest du dir nicht vorstellen, dass du James jemals als etwas betrachten würdest, mit dem du umgehen müsstest. Später hast du das natürlich ganz anders gesehen.
Jetzt möchte ich Sie etwas fragen, sagte die Frau. Warum haben Sie sich gegen das Kinderkriegen gesträubt? Wegen Ihres Berufs?
Nein. Wahrscheinlich hatte es auch etwas mit Kontrolle zu tun, hast du geantwortet. Ich treffe gern meine eigenen Entscheidungen. Das war schon immer so. Aber bei einem Kind hat man keine Wahl. Wenn es hungrig ist, muss man es füttern. Wenn es sich schmutzig macht, muss man es waschen und ihm etwas Sauberes anziehen.
Aber müssen Sie denn als Ãrztin nicht ständig auf die Bedürfnisse anderer eingehen? Wenn während einer Operation etwas passiert, haben Sie keine Wahl. Sie müssen eingreifen. Wenn sich ein Notfall ereignet, müssen Sie reagieren.
Das ist etwas anderes.
Inwiefern?
Du hast ganz langsam gesprochen, dich bemüht, die richtigen Worte zu finden.
Eine Operation verlangt das Beste von einem. Etwas ganz Besonderes. Nicht jeder kann einen Intercostalnerv in einen Bizepsmuskel verpflanzen, um dessen Funktion wiederherzustellen. Oder eine offene Karpalbandspaltung durchführen. Selbst Spezialisten machen da Fehler. Aber ein Kind kann irgendeinen Menschen lieben. Manche Kinder lieben die schrecklichsten, verkommensten Leute. Sie fassen Zuneigung zu einem warmen Körper. Zu einem vertrauten Gesicht. Zu einer Nahrungsquelle. Wegen solcher Grundbedürfnisse geliebt zu werden
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