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Ich darf nicht vergessen

Ich darf nicht vergessen

Titel: Ich darf nicht vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice LaPlante
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er mir zu einer Art Trost geworden, und es gefällt mir, so bedingungslos geliebt zu werden.
    Manche von den anderen Heimbewohnern sind eifersüchtig. Sie versuchen, mir den Hund zu stehlen. Schon mehrmals bin ich aus dem Tiefschlaf aufgewacht und habe gesehen, wie eine dunkle Gestalt sich über mein Bett beugte und das zappelnde Bündel an sich nahm. Ich habe nie etwas dazu gesagt, und der Hund kommt immer zu mir zurück. Mein Vertrauter. Jede alte Schachtel braucht einen.
    D as Einzige, was hilft, ist Gehen. Was man hier umherwandern nennt. Man hat eine Art Wanderweg eingerichtet. Ein Labyrinth für die geistig Behinderten.
    Zu jeder Tages- und Nachtzeit trifft man zwei oder drei von uns auf dem Parcours an. Wer vom vorgegebenen Pfad abweicht, wird aufgehalten und unsanft wieder auf Kurs gebracht.
    Ich erinnere mich an das Labyrinth in Chartres, wie fasziniert die Kinder den Linien folgten, die ins Zentrum führten. Pilger, die hofften, Gott näher zu kommen. Reuige Sünder, die auf Knien die steinernen Stufen erklommen hatten, trafen schließlich ein, mit blutigen Knien, erschöpft, ihre Buße erfüllt.
    Was gäbe ich dafür, noch einmal die Freiheit zu erleben, die auf Strafe folgt, diese Erleichterung, die Kinder empfinden, wenn sie ihre harmlosen Vergehen gebeichtet und dafür bezahlt haben. Aber mir bleibt nichts anderes übrig, als weiterzuwandern.
    W ir haben Besuch, Jen. Freuen Sie sich nicht, dass wir geduscht haben? Schauen Sie mal, wie schön Ihr Haar glänzt!
    Das Gesicht habe ich schon einmal gesehen. Das ist alles, was mir noch bleibt. Keine Namen mehr. Nur Merkmale, falls sie prägnant genug sind, und das Gefühl, ob mir ein Gesicht vertraut ist oder fremd.
    Aber auch da sind die Grenzen fließend. Es kommt vor, dass ich mit einer Person erst nichts anfangen kann, doch dann ändert sich ihr Gesichtsausdruck, und ich erkenne, dass das Gesicht zu einem Menschen gehört, der mir mehr als vertraut ist, ja, den ich innig liebe.
    Heute Morgen habe ich meine eigene Mutter nicht erkannt, so verkleidet wie sie war. Aber dann hat sie sich zu erkennen gegeben. Sie weinte, als sie meine Hand hielt. Ich habe sie so gut es ging getröstet. Ich habe ihr erklärt, dass es eine schwere Geburt war, dass ich bald nach Hause kann und es dem Baby gut geht. Aber wo ist James?, habe ich sie gefragt. Mom, Dad kann nicht herkommen. Warum nennst du mich Mom und ihn Dad? Schon wieder Tränen.
    Und dann war meine Mutter weg.
    Jetzt diese Frau. Ein ganz anderer Typ.
    Ich bin Detective Luton. Wir haben uns schon mehrmals unterhalten.
    Wer hat die Thyreoidektomie bei Ihnen vorgenommen? Dr. Gregory?
    Die was? Ah – ihre Hand wandert zu der Narbe an ihrem Hals. An den Namen des Arztes kann ich mich nicht erinnern. Warum fragen Sie?
    Er war immer geschickt im Umgang mit der Nadel. Ihre Narbe ist schön verheilt.
    Ja, das hat man mir gesagt.
    Ist Ihre Dosis korrekt?
    Wie bitte?
    Wann wurden Ihre Schilddrüsenwerte zuletzt getestet?
    Ach, vielleicht vor einem Jahr. Aber deswegen bin ich nicht hier.
    Es ist nicht mein Fachgebiet, ich weiß. Trotzdem sollten Sie mal Ihren Endokrinologen darauf ansprechen. Meiner Erfahrung nach überwachen achtzig Prozent der Patienten mit Schilddrüsenerkrankungen ihre Werte nicht genau.
    Ã„h, ja, danke für den Rat. Aber ich bin wegen einer anderen Angelegenheit hier. Ich weiß, dass Sie sich nicht erinnern, also werde ich es Ihnen kurz erklären. Ich bin von der Polizei. Ich leite die Ermittlungen im Mordfall Amanda O’Toole.
    Sie schweigt, als wartete sie auf etwas.
    Ist Ihnen der Name bekannt?
    In meiner Straße wohnt eine Frau, die so heißt. Aber ich kenne sie kaum. Wir sind erst vor Kurzem in das Viertel gezogen, und ich habe ein kleines Kind und eine Praxis, die mich stark in Anspruch nimmt. Es tut mir sehr leid, das zu hören, aber wir kennen uns nur flüchtig.
    Das freut mich. Denn für die Freunde und Angehörigen der Frau war es ein Schock. Der plötzliche Tod und die Verstümmelung der Leiche.
    Fahren Sie fort.
    Aufgrund der Wucht, mit der ihr Kopf gegen die Tischkante geschlagen ist, gehen wir davon aus, dass es kein Unfall war. Außerdem wurden ihr kurz nach Eintritt des Todes die Finger der rechten Hand abgeschnitten. Nein, nicht abgeschnitten. Amputiert.
    Eine interessante Vorgehensweise. Und warum erzählen Sie mir das alles?
    Weil ich Ihr Gehirn in Anspruch nehmen möchte. Ich brauche

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