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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Auf den Gedanken war Zimbardo auch gekommen   – und erweiterte sein Experiment deshalb auf die amerikanische Westküste. Diesmal platzierte er den Wagen im kalifornischen Universitätsstädtchen Palo Alto, der Heimat der Stanford-Universität. Wieder ließ er das Auto ohne Kennzeichen und mit angehobener Motorhaube zurück. Und diesmal passierte: nichts. Fünf Tage lang blieb der Wagen unversehrt. Mehr noch: Als Zimbardo den Wagen wieder abholen wollte, wählten einige Anwohner den Polizei-Notruf, weil sie vermuteten, das Auto werde gestohlen. Glücklicherweise hatte Zimbardo die Polizei vorher eingeweiht.
    Doch der Wissenschaftler wollte es noch ein drittes Mal wissen. Diesmal nahm Zimbardo einen Vorschlaghammer, prügelteauf das Auto ein und stellte das geschundene Gefährt wieder in Palo Alto ab. Ob das etwas änderte? Aber hallo! In nur wenigen Stunden wurde der Wagen buchstäblich auf den Kopf gestellt. Ähnlich wie in der Bronx.
    Zimbardos Beobachtungen und Fazit sind ein beängstigendes Zeugnis für urbane Zerstörungswut: Wenn die Mitglieder einer Gesellschaft das Gefühl haben, anonym zu sein, und glauben, dass ihre Taten keinerlei Folgen haben werden, dann zeigen sie ihre schlechte Seite und lassen buchstäblich die Sau raus   – vor allem dann, wenn sie davon ausgehen, dass die Gegenstände ohnehin keinen Wert mehr haben. Die Erkenntnisse nutzten einige Jahre später der Kriminologe George Kelling und der Politikwissenschafter James Wilson. In einem Artikel für die U S-Zeitschrift ›Atlantic Monthly‹ benannten sie erstmals die Broken-Windows-Theorie. Sie waren sich sicher, dass vermeintlich harmlose äußere Schäden   – wie beispielsweise ein zerbrochenes Fenster   – die Menschen regelrecht dazu animieren, weitere Schäden anzurichten.
    Der Trieb zur Unordnung macht sich auch am Arbeitsplatz bemerkbar. Als João Ramos und Benno Torgler von der Queensland Universität im australischen Brisbane 2009 untersuchten, ob die äußere Erscheinung eines Gemeinschaftsbüros das Verhalten beeinflusst, fand das Duo heraus: War der Raum sauber, hinterließen 82   Prozent der Teilnehmer das Zimmer entsprechend. Hatten die beiden Wissenschaftler die Räume vorher aber absichtlich mit Aktenbergen auf den Tischen und Papierfetzen auf dem Boden drapiert, stieg die Zahl der Müllsünder auf 59   Prozent.
    Angenommen, Sie gehen an einem Briefkasten vorbei, aus dem ein Briefumschlag herausragt, und Sie können klar erkennen, dass in dem Umschlag ein Fünf-Euro-Schein steckt   – was tun Sie? Den Brief ganz in den Kasten schieben   – oder (vorausgesetzt, es gibt keine Zeugen) den Brief einstecken und mitnehmen?
    Ein Forscherteam um Kees Keizer von der Universität Groningen führte im Jahr 1998 insgesamt sechs solcher Experimente rund um die Broken-Windows-Theorie durch, eines davon wie eben beschrieben: mit einem Brief, in dem gut sichtbar Geld steckte. Im ersten Szenario stand der Briefkasten in einer sauberen Umgebung, im zweiten war der Briefkasten mit Graffiti besprüht, im dritten lag ringsherum Abfall auf dem Boden. Die Resultate bestätigten die Ergebnisse von Philip Zimbardo: Im ersten Fall klauten den Briefumschlag nur 13   Prozent der Passanten. Lag hingegen Müll auf dem Boden, stieg diese Quote schon auf 25   Prozent, und waren Graffiti an den Wänden, steckten den Umschlag ganze 27   Prozent der Fußgänger ein   – doppelt so viele wie in einem sauberen Umfeld!
    Sie würden niemals etwas klauen? Das glauben wir Ihnen gerne, und natürlich unterstützen wir das. Dennoch sind wir uns fast sicher, dass Sie in Ihrem Leben irgendwann schon einmal Müll einfach irgendwohin geworfen haben   – und sei es nur den Kaugummi in ein Gebüsch oder den unliebsamen Werbeflyer auf das Pflaster der Fußgängerzone. Vermutlich ist das menschlich. Doch Kees Keizer konnte zeigen, dass auch solche kleinen Müllsünden erheblich von der Umwelt beeinflusst werden. Er befestigte in einem graffitifreien Viertel Werbeprospekte an geparkten Fahrrädern   – 33   Prozent der Fahrradfahrer warfen den Flyer beim Entdecken achtlos auf den Boden. Als Keizer dasselbe in einer Gasse tat, in der er zuvor Graffiti an die Wände gesprüht hatte, stieg die Zahl der Müllsünder auf 69   Prozent. »Was ich sah, ließ mich an der Menschheit zweifeln«, gab Keizer später einmal dazu zu Protokoll.
    So weit würden wir nicht gehen. Dennoch haben uns die Experimente gelehrt: Wirf Müll immer in die Tonne, besprühe keine

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