Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen
weil man sich daran gewöhnt. Besonders schlimm wirkt der Gewöhnungs-Effekt bei Leistung und Entlohnung: Chefs zum Beispiel haben die Angewohnheit, ihren besten Mitarbeitern immer mehr Arbeit aufzuhalsen, weil sie wissen, dass diese sie gut erledigen. Sicher, zunächst einmal ist das ein Kompliment. Wer dies aber stillschweigend toleriert, begeht einen folgenreichen Fehler: Mit der Zeit gewöhnt sich der Vorgesetzte daran, dass er seine Leistungsträger ständig weiter belasten kann – und es wird ihm weniger wert. Dann ist es bald vorbei mit dem Image des Leistungsträgers, zumal unter der ständig wachsenden Hochlast auch der Begabteste irgendwann scheitern muss. Leistung wird eher geschätzt, wenn sie rar ist. Letztlich handelt es sich dabei um ein uraltes Marktgesetz: Knappe Güter erzielen höhere Preise. Man tut sich also einen größeren Gefallen, ab und an Intoleranz zu lernen, und wohlbegründet (!) Nein zu sagen. Oder einen entsprechenden (Lohn-)Ausgleich zu fordern. Umgekehrt passiert sonst dasselbe wie beim Kaffee: Sagt man zu spät Nein, setzen beim Boss unmittelbar Entzugserscheinungen ein. Und bei so etwas sind Chefs nie sonderlich tolerant.
D ER G EBURTSREIHENFOLGE-EFFEKT
Wieso Geschwister den Charakter beeinflussen sollen
Es gehört wohl zu den wichtigsten Fragen des Lebens, warum wir so wurden, wie wir sind – und wann die entscheidenden charakterlichen Weichen gestellt werden. Eine ganze Reihe von Ratgeberbüchern meint, diese Weichenstellung genau verortenzu können – nämlich im Kreißsaal. Nicht wenige Psychologen behaupten, unser Charakter werde bereits durch die Geburtsordnung bestimmt.
Als Pionier dieses Forschungszweigs gilt der österreichische Arzt Alfred Adler, der sich Anfang der Dreißigerjahre mit den Konsequenzen der Geburtsreihenfolge von Geschwistern beschäftigte. Ihm zufolge wird das erstgeborene Kind von den Eltern immer behandelt wie ein König. Es bekommt die ungeteilte Aufmerksamkeit und Zuneigung – bis womöglich ein Geschwisterchen auf die Welt kommt und gewissermaßen den Thron übernimmt. Im Optimalfall kommen die beiden Kinder gut miteinander aus und unterstützen sich gegenseitig; im Horrorszenario bekriegen sie sich und buhlen um die Zuneigung der Eltern. In jedem Fall habe die Konstellation Rückwirkungen auf den Charakter, meinte Adler. Dem Geburtsreihenfolge-Effekt zufolge sind Erstgeborene tendenziell konservativer und autoritätshöriger, Zweitgeborene hingegen kooperativer, aber auch ehrgeiziger.
Glaubt man Wissenschaftlern des Instituts für Evolutionswissenschaften im französischem Montpellier, wird die Veranlagung für Erfolg durch die Geburtsreihenfolge determiniert. 2009 prüften die Forscher die Kooperationsbereitschaft von 510 Studenten. Während eines Spiels bekamen diese 30 Geldeinheiten, die sie entweder weitergeben oder behalten konnten. Teilten sie mit einem Mitspieler, konnte dieser wiederum entscheiden, ob er die Gabe behielt oder teilte. Ergebnis: Im Schnitt gaben ältere Geschwister 25 Prozent weniger Geldeinheiten ab als Zweit oder Drittgeborene. Die französischen Wissenschaftler meinten deshalb, Erstgeborene würden eher an sich selbst denken. Das mache sie zwar weniger vertrauenswürdig – aber auch erfolgreicher.
Mitte des vergangenen Jahrhunderts entstand daraufhin eine Fülle von Studien zur Geburtsordnung. Jedoch gingen die Wissenschaftler immer wieder unterschiedlichvorundkamen so auch nicht zu einstimmigen Ergebnissen. Manche fanden im Gegensatzzu Adler Zweitgeborene konservativer, andere hielten Erstgeborene für sozialisierter, wieder andere glaubten, Erstgeborene scheuten das Risiko. Ein einziges Kuddelmuddel. Bis zum Jahr 1993. Dann brachten die Schweizer Psychiater Cécile Ernst und Jules Angst endlich etwas Licht ins Dunkel. Sie recherchierten alle Studien zu dem Thema, die zwischen 1946 und 1980 erschienen waren. Heraus kam eine Metastudie und echte Fleißarbeit, denn inzwischen gab es dazu über 1000 Arbeiten. Das Ergebnis allerdings war ernüchternd: Der Einfluss von Geburtsrang oder der Anzahl der Geschwister auf unsere Persönlichkeit lässt sich nicht nachweisen.
Wie bei kontroversen Themen üblich, dauerte es nicht lange, bis Wissenschaftskollegen die Studie von Ernst und Angst kritisierten. Tatsache bleibt jedoch: Bis heute gibt es keine ernst zu nehmende Untersuchung darüber, dass und wie sich die Geburtsordnung auf unseren Charakter auswirkt. Damit gehört der
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