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Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen

Titel: Ich denke, also spinn ich - warum wir uns oft anders verhalten, als wir wollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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wird als der Bedarf an Hilfe; wenn nicht mehr da geholfen wird, wo es nötig ist, sondern wo es möglich ist; wenn die Absicht dahinter Aufmerksamkeit und Anerkennung ist und es nicht darum geht, jemandem aus der Patsche zu helfen oder ihn aus einer Notsituation zu befreien. »Helfer-Syndrom« nannte Schmidbauer das Phänomen, das er seinerzeit vor allem in sozialen Berufen beobachtete: bei Pflegern, Sozialarbeitern, Pfarrern, Ärzten. Sie sind zwar besonders gefährdet, aber keinesfalls ausschließlich betroffen. Auch im Arbeitsalltag oder im familiären Umfeld gibt es zahlreiche Helfer mit starken Anzeichen einer diesbezüglichen Abhängigkeit.
    Für diese Menschen ist der Akt des Helfens längst Mittel zumZweck. Nicht selten verbirgt sich dahinter ein vermindertes Selbstwertgefühl, das sie auf diese Weise aufzuwerten versuchen. Sie benötigen das Gefühl, gebraucht zu werden und dass andere von ihnen abhängig sind. Dabei ist es genau umgekehrt: Denn natürlich ist eine solch gute Tat längst keine selbstlose mehr, sondern zutiefst eigennützig. Und gefährlich dazu.
    Im Job etwa mindern allzu viele Dienstbarkeiten zwangsläufig die Qualität der eigenen Arbeit, was irgendwann auch der Chef bemerkt und statt mit Anerkennung mit einem Tadel belohnt. Um das zu kompensieren, bieten die Betroffenen häufig noch mehr Gefälligkeiten an   – mit dem Effekt, dass eine Spirale nach unten entsteht: Die Helfersucht führt zu noch mehr Stress, mehr Zwängen, mehr Selbstausbeutung bis hin zur totalen Erschöpfung   – dem Burnout-Syndrom (siehe auch Selbsttest).
    Die Ursachen für das Helfer-Syndrom lokalisieren Psychologen vor allem in der Kindheit. Auslöser sind zum Beispiel Eltern, die ihre Kinder in emotionale Abhängigkeiten bringen und ihnen etwa Schuld für die eigene Missstimmung geben: »Nur wegen dir ist Mama heute so kaputt.« Diese Kinder lernen dann: »Ich bin verantwortlich für die Gefühle anderer.« Und: »Ich bin nur liebenswert, wenn andere mir dankbar sind.« Ein typisches Märtyrerdenken entsteht. Derart manipulierte Menschen sind später anfällig dafür, skrupellos ausgenutzt zu werden.
    Zum Teil liegt die Wurzel der Hilfswütigkeit allerdings auch in einer narzisstischen Störung. In diesem Fall genießen die Betroffenen das kurzfristige Gefühl der Macht, das ihr Ego umschmeichelt, wenn sie als schillernder Retter und Ratgeber die Not der Welt lindern. Oder aber es liegt schlicht an ihrer Unfähigkeit Nein zu sagen, was wiederum auf unterschwellige Ängste hindeutet: die Angst, Sympathien zu verspielen, wenn man mal eine Bitte ausschlägt; die Furcht, eine einmalige Chance zu verpassen; die Sorge, als weniger belastbar, dafür aber egoistischer, als die Kollegen dazustehen.
    Sich aus solchen Psychofallen zu befreien, ist nicht leicht, aberauch nicht unmöglich. Der erste Schritt zur Besserung ist die ehrliche Selbstanalyse: Warum will ich helfen? Handle ich vielleicht doch nur aus eigennützigen Motiven? Sich einzugestehen, dass man in Wahrheit nach Dankbarkeit, Macht und Anerkennung giert, ist weder leicht noch angenehm, aber notwendig. Nur so kann man die innere Unabhängigkeit zurückgewinnen und einen klaren Blick für die wahren Bedürfnisse bekommen   – die der anderen, aber auch die eigenen. Für Betroffene ist es wichtig, wieder zu lernen, ihr Selbstwertgefühl nicht nur aus ihrem Handeln oder der fremden Dankbarkeit zu beziehen, sondern vor allem aus sich selbst.
    Denn darum geht es im zweiten Schritt: Auch jeder Helfer hat Bedürfnisse. Die sind keinesfalls weniger wert als die der Familienmitglieder oder der Kollegen. Und was kann realistischerweise schon passieren, wenn man mal eine Bitte ablehnt? Kurzfristige atmosphärische Störungen, ein böser Blick, drei Tage Konversationsstreik? Na und?! Das geht vorbei. Was aber wäre umgekehrt der Preis: ein weiteres kurzes Wochenende, wieder weniger Schlaf, ein verstimmter Partner, schlechtere Arbeit? Ist es das wert? Oder anders gefragt: Wäre es wirklich eine solche Katastrophe, Nein zu sagen? Eben.
    Und Neinsagen ist auch gar nicht so schwer: Zeigen Sie Verständnis für den anderen, beschreiben Sie Ihre Situation, und begründen Sie Ihren Korb mit eigenen Verbindlichkeiten. Oder schließen Sie zumindest einen Kompromiss in der Form eines »Jetzt nicht, aber später«. Und wer partout nicht lockerlässt, dem sagen Sie eben ganz direkt: »Ich weiß, Sie mögen mein Nein nicht hören, aber ich bleibe dabei. Es tut mir

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