Ich ein Tag sprechen huebsch
Zweifel, Furcht und der glühende Wunsch geliebt zu werden sprachen, machte ich weniger den Eindruck eines bedächtigen Uni-Professors als den einer aufgekratzten Zwölfjährigen, die Brittany hieß.
In meinem ersten Kurs saßen nur neun Teilnehmer. Um den Eindruck von Professionalität und guter Vorbereitung vorzutäuschen, erschien ich zur ersten Sitzung mit Namensschildchen in der Form von Ahornblättern. Ich hatte sie eigenhändig aus orangenem Bastelkarton ausgeschnitten und ließ sie zusammen mit einer Dose Stecknadeln herumgehen. Meine Lehrerin in der vierten Klasse hatte es genauso gemacht und erklärt, jeder dürfe nur eine Nadel nehmen. In Anbetracht der Tatsache, dass wir uns hier am College und nicht an der Grundschule befanden, ermunterte ich meine Studenten, so viele Stecknadeln zu nehmen, wie sie wollten. Sie schrieben ihre Namen auf die Ahornblätter, hefteten sie sich an die Brusttaschen und marschierten zu dem langen Eichentisch, der in unserem Seminarraum stand.
»Also denn«, sagte ich. »Okay. Los geht's. « Ich klappte meine Aktentasche auf und registrierte, dass ich nie über diesen Punkt hinausgedacht hatte. Meine Stundenplanung reichte nicht weiter als bis zu den Ahornblättern, aber ich kramte dennoch weiter in meiner leeren Mappe, beunruhigt darüber, meine Zuhörer leichtsinnig mit Stecknadeln bewaffnet zu haben. Ich hatte vermutlich geglaubt, meine Studenten würden ohne weitere Aufforderung zu reden anfangen und ihre Gedanken und Einstellungen zu den Themen des Tages beisteuern. Ich hatte mir vorgestellt, wie ich am Kopfende des Tisches saß und über ein Meer erhobener Hände blickte. Die Studenten würden alle wild durcheinanderreden, so dass ich sie mit lautem Klopfen zur Ordnung rufen musste.»Hej hej! Leute!« würde ich rufen. »Immer mit der Ruhe, jeder kommt dran. Nur immer hübsch der Reihe nach. «
Jetzt musste ich erkennen, wie grundfalsch meine Annahme war. Eine bedrückende Stille legte sich über den Raum, so dass mir nichts anderes übrig blieb, als meine Studenten aufzufordern, ihre Stifte hervorzunehmen und einen kurzen Aufsatz zum Thema nachhaltige Enttäuschung zu Papier zu bringen.
Ich hatte es immer gehasst, vom Lehrer zu irgendwelchen Aufsätzen aus dem Stegreif verdonnert zu werden. Abgesehen von dem offenkundigen Druck schien auch jeder auf seine ganz eigene Weise zu arbeiten, gerade beim Schreiben. Vielleicht waren Leute anwesend, die eine ganz spezielle Lampe oder einen besonderen Stift oder eine Schreibmaschine benötigten. Meiner Erfahrung nach war es schwer, ohne die bevorzugten Utensilien zu schreiben, und schlicht unmöglich, wenn man nichts zu rauchen hatte. Ich notierte mir, beim nächsten Mal ein paar Aschenbecher mitzubringen und stöberte anschließend im Abfalleimer nach leeren Dosen. Ohne weiter auf das fette RAUCHEN VERBOTEN Schild zu achten, verteilte ich die Dosen, warf ein Päckchen Zigaretten auf den Tisch und forderte den Kurs auf, sich zu bedienen. Ich empfand dies als höchste Form des Unterrichtens und dachte schon, ich hätte den Durchbruch geschafft, als der Asthmatiker im Kurs die Hand hob und sagte, seines Wissens hätte Aristophanes nicht eine Zigarette in seinem Leben geraucht. »Und Jane Austen auch nicht«, fügte er hinzu, »oder die Brontées. «
Ich kritzelte die Namen in mein Notizbuch, schrieb gleich daneben das Wort Querulant und erklärte, ich würde das nachschlagen. Als Dozent eines Schreibkurses wurde automatisch von mir erwartet, dass ich sämtliche ledergebundenen Bände der Klassiker-Bibliothek gelesen hatte. In Wahrheit hatte ich keinen einzigen gelesen und auch nicht vor, dies zu tun. Meistens zog ich mich mit Hilfe vager Erinnerungen an Filme oder Mini-Serien aus der Affäre, die nach dem betreffenden Buch gedreht worden waren, aber es war eine ermüdende Aufgabe, bis ich zuletzt herausfand, dass es viel leichter war, mit einer Gegenfrage zurückzuschießen und zu sagen: »Ich weiß, was Flaubert mir bedeutet, aber was halten denn nun Sie von ihr?«
Als Mr. Sedaris lebte ich ununterbrochen in Angst. Zunächst war da die völlig verständliche Angst, dass man mir auf die Schliche kam, und dann die noch tiefer sitzende Angst, dass meine Studenten mich hassen könnten. Ich stellte mir vor, wie sie zu Freunden am Telefon sagten: »Rate mal, bei wem ich dieses Semester gelandet bin?« Die meisten LangeweilerLehrkräfte hatten zumindest irgendwas, das man ihnen zugutehalten konnte. Sie hatten ein eigenes
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