Ich ein Tag sprechen huebsch
bin einfach zu alt und abgeklärt, um ihre Begeisterung für so naive Vergnügungen wie eine Bootsfahrt auf der Seine oder ein spontanes Picknick am Fuß des Eiffelturms zu teilen. Es wäre gut für mich gewesen, unter Leute zu kommen, doch wenn es soweit war, brachte ich es einfach nicht fertig hinzugehen. Genauso wenig komme ich mit den Fremden ins Gespräch, die mich laufend nach einer Zigarette oder dem Weg zur nächsten Metro-Station fragen. Ich muss zwar keine Dialoge mehr für meinen Französischkurs auswendig lernen, habe aber meistens trotzdem meinen Walkman auf, vorwiegend als Schutz.
Da ich kein großer Sammler von Musikkonserven bin, begann ich in Paris damit, mir amerikanische Bücher auf Band anzuhören. Ich war nie ein Freund dieses Mediums, aber ich nahm sie als eine willkommene Gelegenheit, mein Englisch aufzupolieren. Oft waren es Bücher, in die ich unter normalen Umständen nie eine Nase gesteckt hätte. Doch selbst bei eher langweiligen Schinken genoss ich die reizvolle Kombination von französischem Alltag und englischem Text. Um mich herum war Paris, das man zu meinem persönlichen Hörvergnügen mit der falschen Tonspur unterlegt hatte. Der Besuch im Großkaufhaus war weit weniger einschüchternd, wenn ich dabei Dolly Partons Mein Leben und andere unerledigte Geschäfte lauschen konnte, wo die Frau mit der auffälligen Oberweite beschreibt, wie sie als Kind Zecken aus der Kopfhaut ihrer Großmutter geknibbelt hat. Oder ich hockte auf dem Spielplatz im Jardin du Luxembourg auf einer Bank und hörte mir Lolita in der gekürzten Fassung mit James Mason und in der ungekürzten mit Jeremy Irons an. Mir fiel ein halbes Dutzend bleichgesichtiger Typen mittleren Alters auf, die sich mit Vorliebe um das Klettergerüst gruppierten, und zusammen bildeten wir eine kleine, aber umso unheimlichere Versammlung.
Merle Haggards Mein Haus der Erinnerungen, die Tagebücher von Alan Bennett, Die Schatzinsel: Wenn man jemanden, der ständig liest, einen Bücherwurm nennt, war ich auf dem bestem Wege, zu einer Art Bandwurm zu werden. Das dumme war, dass ich denkbar unvorbereitet für mein neues Hobby nach Paris gekommen war. Ich besaß nicht mehr als eine Handvoll Kassetten, die ich im Laufe der Jahre geschenkt bekommen hatte und die in letzter Minute noch in den Koffer gewandert waren. Ein erwachsener Mensch kann sich Der Wind in den Weiden nur eine bestimmte Anzahl von Malen anhören, so dass ich zuletzt gezwungen war, mich näher mit den zahllosen französischen Kassetten zu befassen, die mir unsere Nachbarn in der Normandie als kleinen Wink zugesteckt hatten.
Ich versuchte es mit Der Menschenfeind und Fontaines Fabeln, aber sie waren einfach zu schwierig für mich. Ich bin viel zu träge, mich einer solchen Strapaze auszusetzen. Außerdem brauchte ich, wenn ich jemanden Französisch reden hören wollte, nur die Kopfhörer abzunehmen und am sogenannten »wirklichen Leben« teilzunehmen, eine Vorstellung, die so wenig einladend war wie ein Shampoo-Cocktail.
Aus lauter Verzweiflung war ich kurz davor, mir einen Stoß 30 Stunden Englisch -Kassetten zuzulegen, als ein Päckchen von meiner Schwester Amy eintraf, das ein paar Dosen Muscheln enthielt, eine Tüte Maismehl, einen Hör-Stadtwanderführer durch Paris und mein Exemplar Medizinisches Taschenwörterbuch Französisch, ein handtellergroßer Sprachführer mit Begleitkassette für Ärzte und Krankenschwestern, die sich in der Sprache nicht auskannten. Der Stadtwanderführer geleitet einen zu den verschiedenen Sehenswürdigkeiten der Stadt und unterhält den Zuhörer mit der ein oder anderen aufschlussreichen Information. So erfuhr ich beispielsweise, dass der kleine Platz in meiner Nachbarschaft gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein beliebter Ort war, Leute bei lebendigem Leib zu vierteilen. Heute wird er von einer Reihe kleiner Geschäfte gesäumt, die die Tradition hochhalten, wenn auch in einem eher übertragenen als buchstäblichen Sinne.
Ich folgte dem Führer weiter nach Notare Dame, wo ich, gelangweilt von einem Vortrag über die Geschichte des Strebebogens, die Kassette wechselte und Paris aus der eigenwilligen Perspektive des Medizinischen Taschenwörterbuchs zu betrachten begann. Die Sätze, zuerst auf englisch gesprochen und dann langsam und teilnahmslos auf Französisch wiederholt, sind so kurz, dass ich im Nu so glanzvolle Beiträge zur gepflegten Konversation beherrschte wie: »Entfernen Sie bitte Ihr Gebiss und legen Sie sämtlichen Schmuck
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