Ich finde dich
die Finger von der Sache zu lassen, mich damit abzufinden, mit dieser schrecklichen, aber unvermeidbaren Enttäuschung weiterzuleben, als ein anderer Gedanke mich traf wie ein Schlag, so dass ich fast gestolpert wäre. Ich blieb ganz ruhig stehen und ließ ihn mir immer wieder und aus allen erdenklichen Perspektiven durch den Kopf gehen. Ja, es gab ihn, den Punkt, den wir übersehen hatten. Ein Punkt, der das, wovon Benedict mich überzeugt hatte, von Grund auf änderte.
Benedict war auf dem Weg zu seinem Seminar, als ich über den Campus auf ihn zurannte. Als er meinen Gesichtsausdruck sah, erstarrte er. »Was ist los?«
»Ich kann es nicht auf sich beruhen lassen.«
Er seufzte. »Wir haben das doch besprochen.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Aber wir haben etwas übersehen.«
Sein Blick wanderte hin und her, als fürchtete er, jemand könnte uns belauschen. »Jake, du hast mir versprochen …«
»Die Sache hat nicht bei mir angefangen.«
»Was?«
»Diese neue Gefahr. Die Fragen der New Yorker Polizei. Otto Devereaux und Danny Zuker. Fresh Start im Belagerungszustand. Es hat nicht mit mir angefangen. Meine Suche nach Natalie war nicht die Ursache. Ich habe das Ganze nicht losgetreten.«
»Ich versteh nicht, was du mir sagen willst.«
»Todds Ermordung«, sagte ich. »Dadurch wurde ich in die Sache hineingezogen. Ihr glaubt alle, dass ich damit begonnen und Fresh Start in Gefahr gebracht hätte. Das stimmt aber nicht. Irgendjemand wusste schon vorher Bescheid. Irgendjemand hat das von Todd erfahren, ihn gefoltert und umgebracht. Ich habe mich erst danach eingemischt – als ich Todds Todesanzeige gesehen habe.«
»Das ändert absolut nichts«, sagte Benedict.
»Das ändert alles. Wenn Natalie irgendwo sicher versteckt wäre, hättest du recht. Dann müsste ich die Finger von der Sache lassen. Verstehst du nicht? Sie ist in Gefahr. Jemand weiß, dass sie gar nicht geheiratet hat und ins Ausland gegangen ist. Jemand, der so weit gegangen ist, Todd umzubringen. Der ist ihr auf der Spur, und Natalie weiß es nicht einmal.«
Benedict rieb sich das Kinn.
»Diese Leute sind hinter ihr her«, sagte ich. »Ich kann mich nicht einfach zurückziehen. Siehst du das denn nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das sehe ich nicht.« Seine Stimme klang ausgelaugt und erschöpft. »Vor allem sehe ich nicht, wie du durch dein Eingreifen etwas anderes erreichen könntest, als dass sie umgebracht wird. Hör zu, Jake. Ich weiß, was du meinst, aber wir haben die Wagenburg geschlossen. Die Gruppe ist geschützt. Alle sind abgetaucht, bis die Sache vorbei ist.«
»Aber Natalie ist …«
»Natalie ist in Sicherheit, solange du dich da raushältst. Wenn nicht – wenn wir alle auffliegen –, könnte es den Tod bedeuten, und zwar nicht nur für sie, sondern auch für Marie-Anne, mich und viele andere. Ich versteh, was du meinst, aber dein Blick ist getrübt. Du bist nicht bereit, die Wahrheit zu akzeptieren. Deine Sehnsucht nach ihr ist so groß, dass du dir die Dinge so zurechtlegst, dass du eingreifen musst. Merkst du das nicht?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Nein, das merke ich wirklich nicht.«
Er sah auf die Uhr. »Hör zu, ich muss ins Seminar. Lass uns hinterher darüber reden. Aber warte zumindest bis dahin, okay?«
Ich sagte nichts.
»Versprich’s mir, Jake.«
Ich versprach es ihm. Aber dieses Mal hielt ich mich nur sechs Minuten statt sechs Jahre an mein Versprechen.
NEUNUNDZWANZIG
I ch fuhr zur Bank und hob viertausend Dollar in bar ab. Als der Angestellte am Schalter sich das vom Hauptkassierer abzeichnen lassen wollte, musste der noch beim Filialleiter nachfragen. Ich versuchte mich zu erinnern, wann ich das letzte Mal an einem Bankschalter gewesen war, statt das Geld am Automaten zu holen, kam aber nicht darauf.
Ich hielt am CVS -Drogeriemarkt und kaufte zwei Einweg-Handys. Weil ich wusste, dass die Polizei jedes Handy orten konnte, wenn es in Betrieb war, schaltete ich mein iPhone aus und steckte es wieder ein. Zum Telefonieren würde ich die Einweg-Handys benutzen – und auch die würde ich wann immer möglich ausschalten. Wenn die Polizei solche Handys orten konnte, war dazu vielleicht auch jemand wie Danny Zuker in der Lage. Ich wusste es nicht genau, mein Paranoia-Pegel befand sich aber verständlicherweise auf einem Allzeithoch.
Wahrscheinlich konnte ich nicht lange abtauchen, ein paar Tage vielleicht, aber mehr Zeit brauchte ich nicht.
Eins nach dem anderen. Benedict behauptete, niemand
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