Ich finde dich
er davon aus, dass ich seine Mutter anbaggern wollte oder so etwas.
»Das ist Professor Fisher aus Lanford«, sagte sie. »Er ist gekommen, weil er ein paar Fragen zu deinem Vater hat.«
»Was für Fragen?«
»Ich wollte ihm nur die letzte Ehre erweisen«, sagte ich. »Und mein Beileid aussprechen. Im Namen des gesamten Colleges.«
Er schüttelte mir schweigend die Hand. Wir standen im Windfang wie drei unbeholfene Fremde auf einer Cocktailparty, die sich nicht vorgestellt worden waren. Eric brach das Schweigen. »Ich kann meine Fußballschuhe nicht finden«, sagte er.
»Du hast sie im Auto gelassen.«
»Oh, alles klar. Dann hol ich sie und fahr wieder zurück.«
Er eilte aus der Tür. Unsere Blicke folgten ihm, womöglich mit den gleichen Gedanken an die vaterlose Zukunft, die vor ihm lag. Mehr konnte ich hier nicht erfahren. Es war Zeit, diese Familie in Ruhe trauern zu lassen.
»Ich geh dann lieber«, sagte ich. »Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
»Keine Ursache.«
Als ich mich zur Tür umdrehte, schweifte mein Blick auch durchs Wohnzimmer.
Mir stockte das Herz.
»Professor Fisher?«
Meine Hand lag auf dem Türknauf. Sekunden verstrichen. Wie viele, weiß ich nicht. Ich drehte den Knauf nicht, bewegte mich nicht, atmete nicht einmal. Ich starrte nur ins Wohnzimmer zu einem Punkt über dem Kamin.
Wieder sagte Delia Sanderson: »Professor?«
Ihre Stimme war sehr weit entfernt.
Schließlich ließ ich den Knauf los, ging ins Wohnzimmer, dann weiter über den Orientteppich und starrte auf die Stelle über dem Kamin. Delia Sanderson folgte mir.
»Ist alles in Ordnung?«
Nein, nichts war in Ordnung. Und ich hatte mich geirrt. Alle Fragen, die ich hatte, waren gerade beantwortet worden. Kein Zufall, kein Fehler, kein Zweifel: Todd Sanderson war der Mann, den ich vor sechs Jahren bei seiner Hochzeit mit Natalie gesehen hatte.
Ich spürte Delia Sanderson neben mir eher, als dass ich sie sah. »Es bewegt mich«, sagte sie. »Ich kann hier stundenlang stehen und entdecke immer wieder etwas Neues.«
Das konnte ich gut nachvollziehen. Man sah das schwache Morgenlicht auf der Seitenwand, das Rosaviolett, mit dem der neue Tag anbrach, die dunklen Fenster, als wäre die Hütte einmal heimelig gewesen, jetzt aber verlassen.
Es war Natalies Gemälde.
»Gefällt es Ihnen?«, fragte Delia Sanderson.
»Ja«, sagte ich. »Es gefällt mir sehr.«
SIEBZEHN
I ch setzte mich auf die Couch. Dieses Mal bot Delia Sanderson mir keinen Kaffee an. Sie schenkte mir zwei Fingerbreit Macallan-Whisky ein. Es war noch früh am Tag, und wie wir bereits wissen, bin ich kein großer Trinker, trotzdem nahm ich das Glas mit zittriger Hand dankbar entgegen.
»Würden Sie mir erzählen, worum es geht?«, fragte Delia Sanderson.
Ich wusste nicht, wie ich es erklären sollte, ohne verrückt zu klingen, also fing ich mit einer Frage an: »Wie sind Sie an das Bild gekommen?«
»Todd hat es gekauft.«
»Wann?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Überlegen Sie.«
»Was spielt das für eine Rolle?«
»Bitte«. Ich versuchte ruhig zu bleiben. »Wenn Sie mir einfach sagen könnten, wann und wo er es gekauft hat?«
Sie betrachtete das Bild, während sie darüber nachdachte. »Wo, weiß ich nicht mehr, aber wann … es war an unserem Hochzeitstag. Vor fünf oder sechs Jahren.«
»Vor sechs Jahren«, sagte ich.
»Wieder sechs Jahre«, sagte sie. »Ich versteh das alles nicht.«
Ich sah keinen Grund zu lügen – schlimmer noch, ich sah keine Möglichkeit, es ihr so behutsam mitzuteilen, dass es sie nicht hart treffen würde. »Ich habe Ihnen doch gerade das Foto von einer schlafenden Frau gezeigt, ja?«
»Natürlich, vor gerade einmal zwei Minuten.«
»Genau. Sie hat dieses Bild gemalt.«
Delia runzelte die Stirn. »Was erzählen Sie da?«
»Sie heißt Natalie Avery. Sie ist die Frau auf dem Foto.«
»Das …« Sie schüttelte den Kopf. »Ich versteh das nicht. Ich dachte, Sie lehren Politikwissenschaft.«
»Das ist richtig.«
»Sind Sie eine Art Kunstwissenschaftler? Ist die Frau auch eine ehemalige Studentin aus Lanford?«
»Nein, darum geht es nicht.« Ich sah die Hütte auf dem Hügel wieder an. »Ich suche sie.«
»Die Künstlerin?«
»Ja.«
Sie musterte mein Gesicht. »Wird sie vermisst?«
»Das weiß ich nicht.«
Unsere Blicke begegneten sich. Sie nickte nicht, und das war auch nicht nötig. »Sie bedeutet Ihnen sehr viel.«
Es war keine Frage, ich antwortete trotzdem. »Ja. Mir ist auch
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