Ich folge deinem Schatten
in Bartley Longes Büro, das stattgefunden hatte, als Toby Grissom aufgetaucht war, um sich nach seiner Tochter zu erkundigen, dauerte den ganzen Morgen. Entgegen seiner Gewohnheit ging Longe daraufhin nicht zum Essen, sondern ließ sich etwas aus einem nahe gelegenen Restaurant kommen.
Wie immer aßen seine Sekretärin Elaine und die Rezeptionistin Phyllis ihren kalorienarmen Salat in der kleinen Küche am Ende des Flurs. Eine müde aussehende Elaine erzählte, dass Longe so schlecht gelaunt war, wie sie es noch nie erlebt hatte, und das sagte eine Menge. Er hatte dem armen Scott fast den Kopf abgerissen, als dieser vorzuschlagen gewagt hatte, beim Rushmore-Auftrag die Gardinenleisten in den kleineren Zimmern nicht zu verblenden, und er war über Bonnie hergefallen wegen der von ihr ausgewählten Stoffmuster, die nicht seine Zustimmung fanden. Beide waren den Tränen nahe gewesen. »Er behandelt sie genauso, wie er Zan behandelt hat«, sagte sie.
»Scott und Bonnie halten nicht länger durch als die anderen Assistenten, die er seit Zan hatte«, pflichtete Phyllis bei. »Aber ich habe mir die Fotos in den Zeitungen angesehen. In einem jedenfalls hat er recht. Es steht außer Frage, dass Zan ihr eigenes Kind entführt hat. Ich hoffe nur, sie hat es zu jemandem gebracht, dem sie trauen kann.«
»Bartley Longe war an ihrem Zusammenbruch schuld«, sagte Elaine traurig. »Aber weißt du, was verrückt war? Während der Besprechung mit Scott und Bonnie hat er die ganze Zeit den Fernseher laufen lassen. Er war zwar stumm gestellt, aber er hat immer wieder mit einem Auge hingesehen, und als die Fotos von Zan gezeigt wurden, hat er nur noch auf den Bildschirm gestarrt.«
»War das vielleicht der Grund für seine schlechte Laune?«, fragte Phyllis. »Ich dachte, er würde sich wegen dieser Sache gar nicht wieder einkriegen vor Begeisterung.«
»Kaum zu glauben, wie sehr er Zan hasst. Und wie sehr es ihm gefällt, dass sie jetzt von den Medien fertiggemacht wird. Aber so richtig ausgeflippt ist er erst, als Scott meinte, die Fotos seien gefälscht worden. Vergiss nicht, Zan hat sich ebenfalls um den Auftrag von Kevin Wilson beworben. Falls Zan irgendwie beweisen kann, dass die Fotos manipuliert wurden, und sie den Auftrag bekommt, wäre das ein schrecklicher Schlag für Longe. Keine Frage. Außerdem gibt es neben Zan mindestens vier weitere junge Designer, die ihm mittlerweile Konkurrenz machen.«
Phyllis sah auf ihre Uhr. »Ich sollte mal lieber zurück zur Rezeption. Wahrscheinlich gönnt er mir noch nicht mal die Mittagspause, auch wenn ich in zehn Sekunden den Türsummer betätigen könnte, falls jemand klingelt. Aber eines noch: Erinnerst du dich an eine Brittany La Monte?«
Elaine trank den letzten Schluck ihrer Diet-Coke. »Brittany La Monte? Na, klar. Sie hat vor ungefähr zwei Jahren die Models oder Möchtegernschauspielerinnen geschminkt und hergerichtet, die bei der Präsentation der Musterwohnungen Cocktails und Häppchen serviert haben. Nur so unter uns, ich glaube, Bartley Longe war ziemlich hinter ihr her. Er hat ihr gesagt, sie sei hübscher als all die Mädchen, denen sie das Make-up macht, und hat sie zum Schluss den Champagner servieren lassen. Ich hatte immer den Eindruck, als hätte er mit ihr was am Laufen. Im vergangenen Jahr hatten wir keine dieser Präsentationen, und zu den anderen Veranstaltungen hat er sie nie mitgebracht. Wahrscheinlich hat er sie genauso fallenlassen, wie er jeden fallenlässt.«
»Brittanys Vater, Toby Grissom, war nämlich am Morgen hier und hat sich nach ihr erkundigt«, erklärte Phyllis. »Er macht sich Sorgen. Die letzte Postkarte von ihr hat er vor einem halben Jahr aus Manhattan erhalten. Er meint, sie steckt vielleicht in Schwierigkeiten. Ich habe ihm gesagt, ich rede mit dir, weil du alle kennst, die hier gearbeitet haben. Er wird nach drei Uhr noch mal vorbeischauen. Dann sollte Longe schon nach Litchfield unterwegs sein. Was soll ich Grissom sagen?«
»Na, dass sie vor ein paar Jahren für uns freiberuflich tätig war und wir nicht die geringste Ahnung haben, was sie jetzt macht oder wo sie wohnt«, antwortete Elaine. »Das ist die Wahrheit.«
»Aber wenn du meinst, Longe hätte mit ihr was gehabt, könntest du ihn dann nicht fragen, ob er noch Kontakt mit ihr hat? Der Vater sagt, es ginge ihm gesundheitlich sehr schlecht. Ich weiß nur, dass er sie unbedingt sehen möchte.«
»Gut, ich werde Bartley darauf ansprechen«, stimmte Elaine nicht sehr freudig zu.
Weitere Kostenlose Bücher