Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
mich durch die Gänge, einem unbekannten Ort entgegen. Jeder Millimeter meiner Haut errötet. Ich muss mich mühsam beherrschen, um nicht rückwärts in seine Arme zu sinken.
Der Weg ist viel länger, als ich erwartet hatte. Dann spricht Adam, und ich vermute, dass wir gleich am Ziel sind. »Wir gehen nach draußen«, sagt er dicht an meinem Ohr. Ich balle die Hände zu Fäusten, um mein stolperndes Herz zu beruhigen. Bin so abgelenkt von seiner Stimme, dass ich kaum begreife, was er sagt. »Ich dachte, das solltest du wissen.«
Als Antwort atme ich nur tief ein. Ich war seit fast einem Jahr nicht mehr draußen. Bin so aufgeregt, dass es fast weh tut. So lange habe ich kein Tageslicht auf der Haut gespürt, dass ich nicht weiß, ob ich es noch ertragen kann. Doch mir bleibt keine Wahl.
Zuerst trifft mich die Luft.
Um das Klima steht es nicht zum Besten, aber nach so vielen Monaten in einer Betonzelle riecht sogar der verbrauchte Sauerstoff unserer sterbenden Erde himmlisch. Ich atme gierig und in tiefen Zügen ein. Fülle meine Lunge mit diesem Gefühl; trete in den leichten Wind und versuche ihn zu greifen, während er durch meine Finger streicht.
Glückseligkeit, wie ich sie noch nie erlebt habe.
Die Luft ist frisch und kühl. Ein belebendes Bad in einem Nichts, das mir in den Augen brennt und nach meiner Haut schnappt. Die Sonne steht hoch am Himmel, spiegelt sich gleißend in Schneeflecken, unter denen die Erde noch gefroren ist. Das Gewicht des grellen Lichts drückt auf meine Lider, und ich kann nur durch zwei Schlitze schauen, aber die warmen Strahlen schmiegen sich an meinen Körper wie eine maßgeschneiderte Jacke, wie eine übermenschliche Umarmung. Ich könnte für immer in diesem Augenblick verharren. Eine endlose Sekunde lang fühle ich mich frei.
Adams Berührung bringt mich mit einem Schock zurück in die Wirklichkeit, ich fahre fast aus der Haut. Er umfasst meine Taille. Ich muss meine Glieder inständig bitten, nicht mehr zu zittern. »Alles okay?« Adams Augen verblüffen mich. Sie sehen so aus, wie ich sie in Erinnerung habe, blau und unergründlich tief wie der Ozean. Seine Hände halten mich so sanft so sanft .
»Ich will nicht angefasst werden«, lüge ich.
»Du hast keine Wahl.« Er schaut mich nicht an.
»Doch, habe ich immer.«
Er streicht sich durchs Haar und schluckt. »Komm mit.«
Wir befinden uns in Ödland, auf einem kahlen Feld, auf dem welke Blätter liegen und sterbende Bäume sich an geschmolzenem Schnee erquicken. Die Landschaft ist verwahrlost und verwüstet vom Krieg, aber dennoch das Schönste, was ich seit langer Zeit gesehen habe. Marschierende Soldaten bleiben stehen und beobachten, wie Adam mir die Tür öffnet.
Die Tür eines Panzers.
Ich starre auf das stählerne Ungetüm und versuche hochzuklettern, als Adam plötzlich hinter mir auftaucht. Er umfasst meine Taille, und ich keuche erschrocken, als er mich auf den Sitz hebt.
Kurz darauf fahren wir, stumm. Ich habe keine Ahnung, wohin.
Starre zum Fenster hinaus.
Jedes noch so kleine Detail in den Trümmern, den verlassenen Häusern, dem Schutt aus Glassplittern und Metallstücken am Wegrand nehme ich in mich auf. Die Welt wirkt nackt, der Wärme und des Wachstums beraubt. Nirgendwo Verkehrs- und Straßenschilder; man braucht sie nicht. Es gibt keine öffentlichen Verkehrsmittel. Und Autos werden nur noch von einer einzigen Firma hergestellt und zu absurd hohen Preisen verkauft.
Nur einige wenige Personen dürfen etwas besitzen, mit dem man flüchten könnte.
Meine Eltern Die Bürger sind über das ganze Land verteilt worden. Industriegebäude dominieren die Landschaft – langgestreckte Metallkästen voller Maschinen. Maschinen, die das Reestablishment und die Armee stärken und große Anteile menschlicher Zivilisation zerstören sollen.
Kohle/Teer/Stahl
Grau/Schwarz/Silber
Schmutziger Matsch, der einst Schnee war. Müllberge auf dürrem gelben Gras.
Die Häuser unserer alten Welt stehen leer, Fenster sind eingeschlagen, Dächer brechen ein, Rot, Blau und Grün sind zu fahlen Farben verblichen, gleichen sich unserer rosigen Zukunft an. Jetzt sehe ich die Unterkünfte, hastig erbaut auf verwüstetem Land, und die Erinnerung kehrt zurück. Zuerst hieß es, die Lager sollten nur provisorisch sein. Ich erinnere mich, wie man mit dem Bau begann, in den Monaten vor meiner Festnahme. In diesen kleinen zugigen Unterkünften sollten die Menschen nur wohnen, bis die neuen Pläne im Detail ausgearbeitet seien,
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