Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
schlüpfe gerade in die Schuhe, als er wortlos hereinkommt. Er mustert mich von Kopf bis Fuß, und ich beiße die Zähne zusammen.
»Sie haben ihm weh getan«, höre ich mich sagen.
»Das sollte dir einerlei sein«, sagt er mit einer leichten Neigung des Kopfes und weist auf mein Kleid. »Aber ich weiß, dass es nicht so ist.«
Ich halte die Lippen geschlossen und bete, dass meine Hände nicht zu sehr zittern. Ich weiß nicht, wo Adam ist. Wie schlimm seine Verletzungen sind. Ich weiß auch nicht, was Warner tun wird, wie weit er gehen wird, um seine Pläne durchzusetzen. Aber die Vorstellung, dass Adam leidet, krallt sich wie eine kalte Hand um meine Kehle. Ich kann nicht atmen, fühle mich, als versuche ich einen Zahnstocher zu schlucken. Wenn Adam mir zu helfen versucht, setzt er sein Leben aufs Spiel.
Ich berühre das Blatt Papier in meiner Tasche.
Atmen.
Warner schaut zu meinem Fenster.
Atmen.
»Wir müssen los«, sagt er.
Atmen.
»Wo gehen wir hin?«
Er antwortet nicht.
Wir treten auf den Flur hinaus. Ich schaue mich um. Niemand zu sehen. »Wo sind die Wachen ist Adam ?«
»Ein wirklich hübsches Kleid«, sagt Warner und legt mir den Arm um die Taille. Ich reiße mich los, aber er zieht mich mit sich, zum Aufzug. »Sitzt perfekt. Und lenkt mich erfolgreich von all deinen Fragen ab.«
»Ihre arme Mutter.«
Warner gerät ins Stolpern. Bleibt wie angewurzelt stehen. Seine Augen sind weit aufgerissen, panisch, als er sich mir zuwendet. »Was soll das heißen?«
Mir dreht sich fast der Magen um.
Seine Miene: blankes Entsetzen und Grauen.
Ich sage nicht: Das sollte nur ein Scherz sein. Eigentlich wollte ich sagen, dass seine arme Mutter mir leidtut, weil sie einen so elend missratenen Sohn hat. Aber ich bleibe stumm.
Er packt meine Hände, starrt mir in die Augen. An seiner Schläfe pulsiert eine Ader. »Was soll das heißen?«, drängt er.
»N-nichts«, stammle ich. Meine Stimme splittert. »Ich wollte nicht – es war nur ein Scherz –«
Warner lässt meine Hände fallen, als hätte er sich verbrannt. Wendet sich ab. Marschiert zum Aufzug, ohne auf mich zu warten.
Ich frage mich, was er verbirgt.
Wir fahren mehrere Etagen nach unten, und erst als wir durch einen unbekannten Korridor auf eine unbekannte Tür zugehen, schaut Warner mich wieder an. Und spricht 4 Worte.
»Willkommen in deiner Zukunft.«
17
Ich schwimme in Sonnenlicht.
Warner hält mir die Tür auf, und ich bin so überrascht, dass ich kaum etwas erkennen kann. Er fasst mich am Ellbogen, um mich zu stützen, und ich schaue ihn an.
»Wir gehen nach draußen«, sage ich, weil ich es hören muss. Weil die Außenwelt Luxus ist, der mir selten geboten wird. Weil ich nicht sicher bin, ob Warner wieder versucht freundlich zu sein. Ich schaue von ihm auf das betonierte Plateau und wieder zu ihm. »Was machen wir dort?«
»Wir müssen etwas erledigen.« Warner zieht mich zur Mitte dieses neuen Universums, und ich reiße mich los, strecke die Hände dem Himmel entgegen, als hätte ich die Hoffnung, dass er sich an mich erinnert. Die Wolken sind grau wie eh und je, aber unauffällig und zurückhaltend. Die Sonne steht hoch hoch hoch am Himmel, und ihre Wärme dringt zu uns durch. Ich recke mich und versuche sie zu berühren. Der Wind sinkt mir in die Arme und lächelt an meiner Haut. Kühle seidenglatte Luft streift sachte durch meine Haare. Dieses Plateau könnte mein Ballsaal sein.
Ich möchte mit den Elementen tanzen.
Warner ergreift meine Hand. Ich drehe mich zu ihm.
Er lächelt.
»Das da«, sagt er und weist auf den kalten grauen Boden unter unseren Füßen, »macht dich glücklich?«
Ich schaue mich um. Sehe, dass wir uns nicht direkt auf dem Dach befinden, sondern zwischen zwei noch höheren Gebäuden. Ich gehe zum Rand und blicke auf eine verödete Landschaft mit vereinzelten Gebäudekomplexen und kahlen Bäumen. »Kühle Luft riecht so sauber«, sage ich. »Frisch. Neu. Der wunderbarste Geruch der Welt.«
Warners Blick ist amüsiert, beunruhigt, interessiert und verwirrt zugleich. Er schüttelt den Kopf. Betastet seine Jacke. Holt eine Pistole aus der Innentasche. Der goldene Griff glitzert im Sonnenlicht.
Ich ziehe scharf die Luft ein.
Er untersucht die Pistole, als wolle er überprüfen, ob sie schussbereit ist. Dann nimmt er sie in die Hand, legt den Finger an den Abzug. Schaut mich an und lacht beinahe.
»Keine Sorge. Die ist nicht für dich.«
»Warum haben Sie eine Pistole?« Ich schlucke und schlinge die Arme
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