Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
umbringen.«
»Sie und ich«, sage ich, Zorn im Blut, »Sie und ich sind nicht vom selben Schlag –«
»Du weißt, dass du nicht die Wahrheit sagst.«
»Sie glauben, Sie könnten meine – Krankheit – mit Ihrem Irrsinn gleichsetzen?«
» Krankheit? « Er tritt abrupt auf mich zu, und ich zwinge mich stehenzubleiben. »Eine Krankheit nennst du das? Das ist ein Geschenk! Du besitzt ein außerordentliches Talent, das du nicht begreifen willst! Deine Gabe –«
»Das ist keine Gabe!«
»Du irrst dich.« Er starrt mich wütend an. Ich glaube beinahe, er hasst mich in diesem Augenblick. Hasst mich dafür, dass ich mich selbst hasse.
»Sie sind der Mörder«, sage ich. »Deshalb sind Sie wohl im Recht.«
Sein Lächeln birgt Sprengstoff. »Leg dich schlafen.«
»Fahr zur Hölle.«
Er bewegt den Kiefer hin und her. Geht zur Tür. »Darauf arbeite ich hin.«
19
Die Dunkelheit erstickt mich.
Meine Träume sind blutig, überall in meinem Kopf ist Blut, ich kann nicht mehr schlafen. Die einzigen Träume, in denen ich Ruhe finden konnte, sind verschwunden, und ich weiß nicht, wie ich sie wiederfinden kann. Ich weiß nicht, wo der weiße Vogel ist. Ich weiß nicht, ob er jemals wieder fliegen wird. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich nur Zerstörung. Fletcher wird wieder und wieder erschossen, Jenkins stirbt in meinen Armen, Warner schießt Adam in den Kopf. Vor meinem Fenster singt der Wind schrill und falsch, und ich habe nicht den Mut, ihm Einhalt zu gebieten.
Ich friere trotz meiner Kleidung.
Ich liege auf Wolkenfetzen und frischem Schnee; das Bett ist weich, zu bequem. Es erinnert mich zu sehr an Warners Bett, was ich nicht ertragen kann. Ich habe Angst, mich zuzudecken.
Ich frage mich, ob es Adam gut geht, ob er wiederkommen wird, ob Warner ihn weiterhin misshandeln wird, sobald ich nicht gehorche. Ich sollte nicht so viel an Adam denken.
Vielleicht ist Adams Nachricht in meinem Notizheft Teil von Warners Plan, mich in den Wahnsinn zu treiben.
Ich stehe auf, weil ich mich auf den Boden legen will. Öffne die Faust, um nachzuschauen, ob das zerknüllte Stück Papier noch da ist, das ich seit zwei Tagen in der Hand halte. Meine einzige Hoffnung, und ich weiß nicht mal, ob es echt ist.
Aber ich habe ohnehin keine Wahl.
»Was machst du da?«
Ich verschlucke meinen Schrei und stürze fast auf Adam, der am Boden liegt. Ich hatte ihn nicht bemerkt.
»Juliette?« Er liegt reglos da und schaut mich an. Ruhig und gelassen. Seine Augen: zwei Eimer Flusswasser um Mitternacht, in die ich meine Tränen ergießen möchte.
Ich weiß nicht, warum ich die Wahrheit sage. »Ich kann da oben nicht schlafen.«
Er fragt mich nicht, warum. Richtet sich auf. Als er sein Stöhnen unterdrückt, fallen mir seine Verletzungen wieder ein. Ich weiß nicht, wie schlimm sie sind. Doch ich frage nicht. Er zieht ein Kissen und meine Decke auf den Boden. »Leg dich hin«, sagt er nur. Ganz leise.
Wenn er das nur jeden Tag zu mir sagen würde, bis in alle Ewigkeit .
Drei Worte bloß, aber ich laufe dennoch rot an. Sirenen schrillen in meinem Hirn, aber ich lege den Kopf auf das Kissen. Adam zieht die Decke über mich, und ich lasse es zu. Mondlicht strömt durchs Fenster und umhüllt ihn. Adam legt sich kaum einen Meter von mir entfernt auf den Boden. Er verlangt nicht nach einer Decke. Benutzt kein Kissen. Schläft auch hier ohne Hemd, und ich merke, dass ich nicht mehr weiß, wie man atmet. In seiner Nähe werde ich wohl nie wieder ausatmen.
»Jetzt musst du nicht mehr schreien«, flüstert er.
Und nun fließt aller Atem aus mir hinaus.
Meine Finger umschließen die Vision von Adam in meiner Hand, und ich schlafe so fest wie noch nie zuvor im Leben.
Meine Augen sind Fenster, aufgerissen vom Chaos der Welt.
Ein kühler Windhauch streicht über meine Haut, und ich setze mich auf, reibe mir die Augen. Adam liegt nicht mehr neben mir. Ich blinzle, rapple mich hoch, lege Kissen und Decke wieder aufs Bett.
Schaue zur Tür und frage mich, was mich dort draußen erwarten mag.
Schaue zum Fenster und frage mich, ob dort jemals wieder ein Vogel vorbeifliegen wird.
Schaue auf die Uhr an der Wand und frage mich, wie ich wieder nach Zahlen leben soll. Und was in diesem Gebäude vor sich geht, wenn es halb sieben Uhr morgens ist.
Ich beschließe, mir das Gesicht zu waschen. Die Idee muntert mich auf.
Als ich die Badezimmertür öffne, sehe ich Adam im Spiegel. Er zieht hastig sein T-Shirt herunter, aber ich habe schon gesehen, was
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