Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)
schlagen.
»Und dennoch –« Er lacht jetzt unverhohlen. »Stellst du hartnäckig mich als den Bösewicht dar.« Er schaut mich an. »Ich versuche dir zu helfen . Ich gebe dir eine Chance, die kein anderer dir anbieten würde. Ich behandle dich als mir ebenbürtig. Ich bin bereit, dir alles zu geben, was du dir wünschst, und statte dich überdies mit Macht aus. Ich kann die anderen leiden lassen für das, was sie dir angetan haben.« Er beugt sich zu mir. »Ich kann deine Welt verändern.«
Er irrt sich er irrt sich er irrt sich.
Doch was er sagt, ist zutreffend.
»Lass dich nicht dazu hinreißen, mich vorschnell zu hassen«, fährt er fort. »Du stellst vielleicht bald fest, dass du diese neue Situation mehr zu schätzen weißt, als du jetzt glauben magst. Zum Glück für dich habe ich viel Geduld.« Er grinst. Lehnt sich zurück. »Obwohl es gewiss nicht schadet, dass du so beunruhigend schön bist.«
Er ist ein Lügner und ein entsetzlicher widerwärtiger Mensch, und ich weiß nicht, ob ich mich so aufrege, weil er recht hat oder weil er unrecht hat oder weil ich so ausgehungert bin nach Bestätigung. So etwas hat noch niemand je zu mir gesagt.
Ich würde am liebsten in einen Spiegel schauen.
»Wir beide sind nicht so unterschiedlich, wie du das gerne hättest.« Sein Grinsen ist so eingebildet, dass ich es am liebsten mit der Faust bearbeiten würde.
»Wir beide sind nicht so ähnlich, wie Sie das gerne hätten.«
Er lächelt breit, und ich weiß nicht, wie ich reagieren soll. »Ich bin übrigens 19.«
»Wie?«
»Ich bin 19«, wiederholt er. »Ich weiß, für mein Alter bin ich ein ziemlich eindrucksvolles Exemplar.«
Ich greife zu meinem Löffel und stochere in dem essbaren Material auf meinem Teller herum. Ich kann Lebensmittel nicht mehr identifizieren. »Ich kann Sie nicht respektieren.«
»Du wirst es dir noch anders überlegen«, sagt er leichthin. »Und nun beeil dich und iss. Wir haben viel zu tun.«
21
Zeit totzuschlagen ist nicht so schwierig, wie es sich anhört.
Ich kann hundert Zahlen den Schädel zertrümmern und ihnen zuschauen, wie ihr Blut in meiner Handfläche Dezimalpunkte hinterlässt. Ich kann die Ziffern von einer Uhr abreißen und den Zeigern zuschauen, wie sie vor sich hin tick tick ticken, bevor ich einschlafe. Ich kann Sekunden ersticken, indem ich die Luft anhalte. Seit Stunden schon ermorde ich Minuten, und niemand scheint etwas dagegen zu haben.
Eine Woche ist vergangen, seit ich zum letzten Mal mit Adam gesprochen habe.
Einmal habe ich mich zu ihm gewandt. Habe den Mund geöffnet, um zu sprechen, aber Warner kam mir zuvor. »Unterhaltungen mit den Soldaten sind für dich verboten«, sagte er. »Wenn du Fragen hast, komm zu mir. Ich bin die einzige Person, mit der du dich abgeben solltest, während du hier bist.«
Besitzergreifend ist gar kein Ausdruck für Warner.
Er begleitet mich überallhin. Spricht ständig. Mein Tag besteht aus Treffen mit Warner, Mahlzeiten mit Warner, Gesprächen mit Warner. Wenn er beschäftigt ist, werde ich in mein Zimmer geschickt. Wenn er Zeit hat, kommt er zu mir. Erzählt mir von den Büchern, die sie zerstört haben. Den Kunstwerken, die sie verbrennen werden. Den Ideen für eine neue Welt. Und er sagt immer wieder, dass ich eine große Hilfe für ihn sein werde, wenn ich bereit dazu bin. Wenn mir klar wird, wie sehr ich das alles will, wie sehr ich ihn will, wie sehr ich dieses neue grandiose Leben will. Er wartet darauf, dass ich mein Potential endlich nutze. Sagt mir, dass ich ihm dankbar sein soll für seine Geduld. Seine Fürsorge. Seine Bereitschaft zu verstehen, dass diese Situation nicht leicht für mich ist.
Ich kann Adam nicht sehen. Kann nicht mit ihm sprechen. Er schläft in meinem Zimmer, aber ich sehe ihn nicht. Er atmet so nahe bei mir, doch sein Mund öffnet sich nicht für mich. Er folgt mir nicht ins Badezimmer. Er schreibt mir keine heimlichen Nachrichten in mein Notizheft.
Ich frage mich, ob ich mir alles eingebildet habe, was er zu mir gesagt hat.
Ich muss wissen, ob sich etwas verändert hat. Ich muss wissen, ob ich verrückt bin, weil ich mich an diese Hoffnung klammere, die in meinem Herzen erblüht. Und ich muss wissen, was die Botschaft in meinem Notizheft bedeutet, aber er behandelt mich wie eine Fremde, und ich zweifle allmählich an meinem Verstand.
Ich muss mit ihm sprechen, aber es geht nicht.
Weil Warner mich beobachtet.
Die Kameras sehen alles.
»Ich möchte, dass die Kameras aus meinem
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