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Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)

Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition)

Titel: Ich fürchte mich nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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entsetzliches Monster war, wie alle behaupteten. Ich hatte jahrelang niemanden mehr berührt. Ich wagte es nicht, mich Menschen zu nähern. Wollte kein Risiko eingehen.
    Bis zu diesem Tag, der alles zerstörte.
    Ich tötete den kleinen Jungen im Supermarkt, weil ich ihm auf die Beine helfen wollte. Indem ich seine kleinen Hände anfasste. Ich wusste nicht, warum er schrie. Nach langer Zeit berührte ich zum ersten Mal wieder jemanden, und ich verstand nicht, was mit mir vorging. Falls ich zufällig jemanden berührt hatte, war ich immer sofort auf Abstand gegangen. Sobald mir wieder einfiel, dass ich niemanden anfassen durfte. Sobald den Menschen ein Schrei entfuhr.
    Bei dem kleinen Jungen war das anders.
    Ich wollte ihm helfen. Ich war so wütend auf seine Mutter, die sein Weinen ignorierte. Ihr Mangel an Mitgefühl für ihr Kind machte mich rasend und erinnerte mich an meine eigene Mutter . Ich wollte dem Kleinen nur helfen. Ihm zeigen, dass ihn jemand hörte, dass jemand für ihn da war. Ich ahnte nicht, weshalb es sich so seltsam und kraftspendend anfühlte, ihn zu berühren. Ich wusste nicht, dass ich ihm das Leben aussog, und ich verstand nicht, weshalb er in meinen Armen so still und reglos wurde. Dachte mir, dass dieses Gefühl der Stärke und die positive Energie vielleicht bedeuteten, dass ich von meiner grauenhaften Krankheit geheilt war. Ich dachte mir so viel dummes Zeug, und ich machte alles kaputt.
    Ich glaubte, ich würde helfen.
    Die nächsten 3 Jahre meines Lebens verbrachte ich in Krankenhäusern, Anwaltsbüros, Jugendgefängnissen und wurde mit Medikamenten und Elektroschocks gequält. Nichts funktionierte. Nichts half. Die einzige Lösung schien, mich umzubringen, oder wenn man das nicht wollte, mich einzusperren. Das schien der einzige Weg zu sein, um die Gesellschaft vor Juliette zu schützen.
    Als Adam Kent dann in meine Zelle trat, hatte ich ihn 3 Jahre lang nicht gesehen.
    Und er sieht wirklich anders aus. Härter, größer, stärker, erfahrener, tätowiert. Er ist muskulös, gereift, still und schnell. Als könne er es sich nicht erlauben, weicher und langsamer oder entspannt zu sein. Er darf nur Kraft und Härte und Sicherheit ausstrahlen. Sein Gesicht ist scharf umrissen, geprägt von harten Jahren und zähem Überlebenskampf.
    Er ist kein kleiner Junge mehr. Er hat keine Angst. Er ist in der Armee.
    Doch er ist auch immer noch derselbe. Er hat immer noch die ungewöhnlichsten blauen Augen, die ich jemals gesehen habe. Dunkel und tief und voller Leidenschaft. Ich habe mich immer gefragt, wie es sich wohl anfühlt, die Welt durch so schöne Linsen zu sehen. Habe mich gefragt, ob die Augenfarbe den Blick auf die Welt beeinflusst. Und ob die Welt sich von der Augenfarbe beeinflussen lässt.
    Ich hätte ihn eigentlich sofort erkennen müssen, als er in meine Zelle geschoben wurde.
    Und ein Teil von mir erkannte ihn auch. Aber ich hatte so angestrengt versucht, die Erinnerungen an meine Vergangenheit zu verdrängen, dass sich etwas in mir weigerte, das für möglich zu halten. Denn ein Teil von mir wollte sich nicht erinnern. Wagte es nicht zu hoffen. War nicht sicher, ob es sinnvoll wäre, ihn zu erkennen.
    Ich frage mich oft, wie ich wohl aussehe.
    Ob ich nur noch ein durchlöcherter Schatten der Person bin, die ich früher war. Seit Jahren habe ich nicht mehr in den Spiegel geschaut. Ich fürchte mich so sehr vor diesem Anblick.
    Jemand klopft an die Tür.
    Meine Angst schleudert mich quer durchs Zimmer. Adam wirft mir noch einen Blick zu, bevor er die Tür öffnet, und ich verkrieche mich hinter dem Bett.
    Ich spitze die Ohren, höre aber nur gedämpfte Stimmen. Jemand räuspert sich. Ich weiß nicht, was ich tun soll.
    »Ich komme gleich runter«, sagt Adam etwas zu laut. Er will das Gespräch offenbar beenden.
    »Komm schon, ich will sie doch nur mal sehen –«
    »Verdammt, Kenji, sie ist kein Zootier. Zieh Leine.«
    »Warte – sag mir nur: Kann sie mit ihrem Blick was anzünden?« Kenji lacht, und ich ducke mich noch tiefer hinter das Bett. Rolle mich ein und versuche, nichts mehr zu hören.
    Was mir aber nicht gelingt.
    Adam seufzt. Ich stelle mir vor, wie er sich über die Stirn streicht. »Hau jetzt ab.«
    Kenji gluckst vor Lachen. »Du bist ja plötzlich verdammt zickig. Tut dir wohl nicht gut, ständig mit ’nem Mädchen rumzuhängen –«
    Adam sagt etwas, das ich nun wirklich nicht höre.
    Dann wird die Tür zugeknallt.
    Ich spähe hinter dem Bett hervor. Adam sieht verlegen

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